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Jüdische Friedhöfe – Rundgänge Mai / Juni 2025

Das Wetter wird besser, die Nachfragen nehmen zu und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie an dem einen oder anderen Termin Zeit finden für einen Rundgang über die jüdischen Friedhöfe in Eisenstadt, Kobersdorf und Lackenbach sowie eventuell auch Mattersburg.

TERMINE

Freitag, 25. April 2025, 14.30 Uhr: Kobersdorf ‒ Lackenbach
Sonntag, 27. April 2025, 10 Uhr: Eisenstadt, älterer und jüngerer jüdischer Friedhof

Freitag, 23. Mai 2025, 14.30 Uhr: Kobersdorf ‒ Lackenbach
Sonntag, 25. Mai 2025, 10 Uhr: Eisenstadt älterer und jüngerer jüdischer Friedhof

Freitag, 13. Juni 2025, 14.30 Uhr: Kobersdorf ‒ Lackenbach
Sonntag, 15. Juni 2025, 10 Uhr: Eisenstadt älterer und jüngerer jüdischer Friedhof

Bitte beachte:

  • In Eisenstadt gibt es zwei jüdische Friedhöfe, die nur wenige Meter von einander entfernt sind, der ältere und der jüngere jüdische Friedhof (s.u.). Auf Wunsch besuchen wir auch das nahe gelegene Wolf-Mausoleum in Eisenstadt.
  • Die beiden jüdischen Friedhöfe Kobersdorf und Lackenbach sollten, so empfehle ich, an einem Termin gemeinsam besucht werden. Sie liegen nicht nur wenige Autominuten von einander entfernt, sondern sind auch zwei jüdische Friedhöfe, die auf den ersten Blick verschiedener nicht sein können.
  • In Kobersdorf besuchen wir selbstverständlich auf Wunsch auch gerne die renovierte ehemalige Synagoge.
  • Auf Wunsch können wir auch den jüdischen Friedhof Mattersburg besuchen. Das ist sowohl vor/nach Kobersdorf – Lackenbach, als auch vor/nach Eisenstadt, oder auch als exklusiver Termin möglich.
Die Rundgänge dauern ca. 90 Minuten bis 2 Stunden, Unkostenbeitrag: 15 Euro / Person, Mindestteilnehmer:innen-Anzahl: 5.
Anmeldung (erforderlich): Bitte schreiben Sie mir eine E-Mail oder rufen Sie mich an. Ich freue mich auf die Rundgänge!
 

FRIEDHÖFE

EISENSTADT ‒ der ältere jüdische Friedhof

Der ältere jüdische Friedhof in Eisenstadt gehört zu den bekanntesten und bedeutendsten jüdischen Friedhöfen in Österreich und in Europa.

Älterer jüdischer Friedhof in Eisenstadt
Älterer jüdischer Friedhof in Eisenstadt

Über 1.100 Grabsteine, kein einziger nicht hebräischer Buchstabe, der älteste jüdische Grabstein des Burgenlandes aus dem Jahr 1679 und das Grab des großen ersten und langjährigen Rabbiners von Eisenstadt, der posthum den Namen seiner Stadt erhielt und als Rabbi Meir Eisenstadt, gest. 1744, weltberühmt wurde. Hunderte jüdische Pilger besuchen an seinem Todestag (zu seiner Jahrzeit) alljährlich sein Grab. Fast ebenso viele besuchen die Gräber der Eltern eines der größten und bekanntesten Rabbiner der jüngeren Geschichte, des am 29. Oktober 1761 in Eisenstadt geborenen Akiba Eger. Sowohl seine Mutter, sein Vater, zwei seiner Schwestern sowie sein Bruder und seine Groß– und Urgroßeltern sind am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt begraben.
Wir finden aber auch faszinierende Symbole auf den Grabsteinen wie Löwen, ein Lamm, einen ruhenden Hirsch usw.

 

EISENSTADT ‒ der jüngere jüdische Friedhof

Der jüngere jüdische Friedhof in Eisenstadt, nur 2 Gehminuten vom älteren Friedhof entfernt, erlangte traurige Berühmtheit durch seine Schändung im Herbst 1992, als 88 Grabsteine mit Naziparolen und -symbolen beschmiert wurden. Geschändet wurde der Friedhof schon im April 1891.

Jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt, Panorama
Jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt

Der jüngere jüdische Friedhof, der zwischen 1875 und 1938 belegt wurde, zeigt sehr deutlich den katastrophalen Zustand. Wie ist es möglich, dass Grabsteine 120 Jahre und mehr in gutem Zustand überlebten und ihre Inschriften gut lesbar erhalten blieben und in knapp 30 Jahren der Verfall eklatant ist: Auffällig viele Grabsteine sind in dieser kurzen Zeit zerbrochen, aus der Erde gerissen/gehoben, in die Erde (fast) versunken, umgefallen, erodiert, mit Moos und/oder Flechten völlig überwachsen, die Inschriften durch die Vegetation oder Erosion nicht mehr sichtbar und nicht mehr lesbar.
Am jüngeren jüdischen Friedhof finden wir unter den knapp 300 Grabsteinen auch die Gräber der berühmten Eisenstädter Familie Wolf. Ebenfalls am Friedhof begraben sind die Eltern von Irma Hirschler, die in die berühmte Triestiner Spirituosendynastie Stock geheiratet hatte, Therese Einhorn, die erste Frau des Großvaters des Nobelpreisträgers für Physik Eugene Wigner sowie Schwiegervaters von Paul Dirac, ebenfalls Nobelpreisträger für Physik. Spannend etwa auch, dass in den ursprünglichen drei ersten Reihen nur Männer begraben sind, erst in der 4. Reihe die erste Frau und sie sowie alle anderen dieser Reihe in die andere Richtung als die ersten drei Reihen…

 

KOBERSDORF

In Kobersdorf befindet sich einer der schönsten jüdischen Waldfriedhöfe mit unvergleichlicher Stimmung.

Jüdischer Friedhof Kobersdorf, Panorama im Herbst
Jüdischer Friedhof Kobersdorf, Panorama im Herbst

Auf den heute 650 Grabsteinen finden sich weltweit einzigartige Symbole wie die Ewigkeitsschlange oder auch der Hammer des sogenannten Schulklopfers, der Anfang März 1898 starb. Rabbiner David Alt diente der jüdischen Gemeinde 43 Jahr lang, sein Sohn Eleasar folgte ihm gut 20 Jahre später und war über 20 Jahre lang Rabbiner in Kobersdorf. Auch die 4 Opfer der schrecklichen Hochwasserkatastrophe in Kobersdorf im Juni 1895 finden sich am jüdischen Friedhof. Besonders bewegend: Moritz Maier, so lesen wir in der hebräischen Grabinschrift und auch im Sterbebuch von Kobersdorf, wurde erst 4 Monate nach der Katastrophe, im Oktober 1895, im Schlamm gefunden und konnte erst dann neben seiner Familie begraben werden.
In Kobersdorf waren die Nazis ganz besonders schnell. Schon im Frühling 1938 waren alle Juden aus Kobersdorf vertrieben worden. Über ein besonders Datum, den 20. April 1938, werden wir am jüdischen Friedhof natürlich auch sprechen: Über den letzten Rabbiner der Gemeinde, Simon Goldberger und den 2019 gefundenen Grabstein, der über jenem Grab stand, in dem die sich noch im Ort befindlichen Juden 13 Torarollen vor den Nazis gerettet haben.

Moritz Maier, Rosalia Maier, geb. Riegler, Josefine Maier, 06. Juni 1895
Grabsteine Moritz (Meir) Maier, Rosalia (Sara Chaja) Maier, geb. Riegler, Josefine (Perl) Maier, 14. Siwan 655 (= Donnerstag, 06. Juni 1895)

Selbstverständlich besuchen wir in Kobersdorf (auf Wunsch) auch die prachtvoll renovierte ehemalige Synagoge. Die zu Pesach 1860 feierlich eröffnete Synagoge wurde 1938 von den Nazis innen verwüstet. 2019 kaufte das Land Burgenland die ehemalige Synagoge, am 26. April 2022 wurde sie als Kultur-, Wissenschafts- und Bildungszentrum mit einem Schwerpunkt auf jüdischer Kultur und Geschichte wiedereröffnet. Mehr Informationen auf der Website Land Burgenland.

Ehemalige Synagoge Kobersdorf, Foto: Mai 2022
Ehemalige Synagoge Kobersdorf, Foto: Mai 2022
 

LACKENBACH

Der jüdische Friedhof Lackenbach ist mit über 1.700 Grabsteinen der größte jüdische Friedhof im Burgenland und der viertgrößte jüdische Friedhof in Österreich.

Jüdischer Friedhof Lackenbach am 28. Februar 2025
Jüdischer Friedhof Lackenbach am 28. Februar 2025

Der jüdische Friedhof Lackenbach zeigt sich in Polaritäten: Nur wenige Meter entfernt von der Ruhestätte des großen Gelehrten Rabbi Schalom Ullmann (Scholem Charif – der Scharfsinnige), gest. 1825, mit auffällig schöner hebräischer Inschrift, oder des Grabsteines von Rabbiner Benjamin Asch, des Sohnes des berühmten Eisenstädter Vaters, gest. 1770, befinden sich die “Nobelgerüste a la Döblinger Friedhof”, wie der Wiener Journalist Otto Abeles die Grabmale von Philipp und Markus Schey, des Urgroßvaters von Arthur Schnitzler, nennt.

 

MATTERSBURG

Eine alte Sage schreibt die Gründung der jüdischen Gemeinde sechs sefardischen Emigrantenfamilien am Ende des 15. Jahrhunderts zu. Angehörige der Familie Schischa (hebräisch “sechs”), die sich als Nachkommen dieser Emigranten verstanden, lebten bis 1938 in Mattersburg (bis zum 2. Juli 1926 “Mattersdorf”) und sind heute über alle Welt verstreut.

Der jüdische Friedhof in Mattersburg heute
Der jüdische Friedhof in Mattersburg heute

Wir wissen heute nicht, wie viele Grabsteine sich vor 1945 auf dem jüdischen Friedhof in Mattersburg befanden, wir wissen auch nicht ganz sicher, was mit ihnen geschah. Wir haben auch keinen alten Friedhofsplan, sodass wir auch nicht wissen, wo auf dem Friedhof sich welcher Grabstein / welches Grab befunden hat. Wir haben nicht einmal genügend alte Fotos, die uns ermöglichen würden, einen solchen Plan heute zu erstellen.
Heute befinden sich auf dem jüdischen Friedhof einige wenige alte Grabsteine sowie viele hunderte Grabsteinfragmente, die in zwei große und mehrere kleine nach 1945 errichtete Mauern eingemauert wurden. Zudem stehen 150 “Dummy-Grabsteine” auf dem Friedhof, eine meines Erachtens nicht besonders glückliche Lösung.

Dass wir dennoch 229 Fotos und Grabinschriften besitzen (es müssten sehr wahrscheinlich um die 1.000 sein), verdanken wir einem unglaublichen Zufall und Isidor Öhler, dem Religionsschulinspektor, der 1943 oder 1944 von der Gestapo den Auftrag bekam, alle Grabsteine des jüdischen Friedhofs Mattersburg zu fotografieren und die Inschriften abzuschreiben.

Selbstverständlich werden wir aber auch über die “Petites”, über die Ränke und Schelmenstreiche der Mattersdorfer Juden, für die sie fast berühmt waren, sprechen.

 

Bei allen Rundgängen sprechen wir auch über Brauchtum und Vorschriften rund um den jüdischen Friedhof (wie sind die Grabsteine ausgerichtet?, warum legt man kleine Steine auf die Gräber?, gibt es Familiengräber?…), über Tod und Begräbnis im Judentum, übersetzen faszinierende hebräische Grabinschriften und tauchen einerseits in die Blütezeit der jüdischen Gemeinden in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein, als manche Rabbiner über 50 Jahre ihres Amtes walteten. Wir erleben aber auch die in den letzten Jahren ihrer Existenz dramatisch-traurige jüdische Geschichte von bedeutenden ehemaligen jüdischen Gemeinden im heutigen Burgenland.

 

Katz-Prossnitz (Wannfried) Joachim (Menachem) – 23. Februar 1891

Über die Kategorie “Bagatellen”

 

Rabbiner Joachim (Menachem) Katz-Prossnitz (Wannfried), 16. Adar I 651 (= Montag Abend, 23. Februar 1891)

Der (neu errichtete) Grabstein befindet sich am jüdischen Friedhof Deutschkreutz.

 

Grabstein R. Menachem Katz-Prossnitz, 16. Adar I 651 = Montag Abend, 23. Februar 1891
Grabstein R. Menachem Katz-Prossnitz, 16. Adar I 651 = Montag Abend, 23. Februar 1891

Grabstein R. Menachem Katz-Prossnitz, Tafel auf der Rückseite
Grabstein R. Menachem Katz-Prossnitz, Tafel auf der Rückseite

 

Die hebräische Grabinschrift

Inschrift Menachem Katz-Prossnitz: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Ein Stein des Weinens. פ”נ
[2] Hier im Grab (ruht) ein Mann Gottes, פה קבר איש אלקים
[3] der Priester, größer als seine Brüder, הכהן הגדול מאחיו
[4] der Vorsitzende der Rabbiner in unseren Land, ראש הרבנים במדינתנו
[5] die Zierde der Generation und ihr ganzer Stolz, נזר הדו ותפארתו
[6] unser überragender Rabbiner und Heiliger, unser Lehrer und Meister (MORENU) רבינו הגאון והקדוש מו’ה
[7] Menachem מנחם
[8] Ka”tz Prosstitz, d(as Andenken) d(es Gerechten s(ei für das) e(wige) L(eben). כ’ץ פרוסטיץ ז’צ’ל’ה’ה
[9] Er erfüllte das Amt des Rabbiners in unserer Gemeinde שמש בכתר רבנות בקהלתינו
[10] mehr als 50 Jahre יותר מחמישים שנה
[11] und wurde eingesammelt zu seinem Volk alt und satt an Tagen ויאסף אל עמיו זקן ושבע ימים
[12] zu Beginn des 16. Adar I אור לט’ז אדר ראשון
[13] 651 n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung). תרנ’א לפ’ק
[14] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). ת’נ’צ’ב’ה
[15] Der Name seiner Mutter war Hindel. ושם אמו הינדל
 

Tafel auf der Rückseite

Inschrift Tafel RS: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Dieser Grabstein wurde neu aufgestellt von מצבה זו הוקמה מחדש ע”י
[2] unserem Herrn, dem Meister Josef Isak Rottenberg aus Antwerpen, הר”ר יוסף יצחק ראטטענבערג מאנטווערפען
[3] zum Aufstieg der Seele seiner Mutter, לעילוי נשמת אמו
[4] Frau Sara Hendel, a(uf ihr sei) d(er Friede), G(ott) m(öge ihr) B(lut rächen), מרת שרה הענדל ע”ה הי”ד
[5] Tochter d(es großen) R(abbiners), unseres Lehrers und Meisters, H(errn) David Friedmann, d(as Andenken) d(es Gerechten) u(nd Heiligen) m(öge bewahrt werden), בת הרה”ג מוהר”ר דוד פרידמאן זצוק”ל
[6] V(orsitzender) d(es rabbinischen) G(erichts) von hier, d(er heiligen jüdischen) G(emeinde) Zelem, אב”ד דפה ק”ק צעהלים
[7] und Enkelin d(es großen) R(abbiners), unseres Lehrers und Meisters, H(errn) Menachem Katz, d(as Andenken) d(es Gerechten) u(nd Heiligen) m(öge bewahrt werden), ונכדת הרה”ג מוהר”ר מנחם כץ זצוק”ל
[8] V(orsitzender) d(es rabbinischen) G(erichts) von hier, d(er heiligen jüdischen) G(emeinde) Zelem, אב”ד דפה ק”ק צעהלים
 

Anmerkungen

Zeile 6: Die hebräische Abkürzung מהו’ bezeichnet einen innerjüdischen Titel und wird MORENU gelesen. Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als “synagogaler Doktortitel” (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).

Zeile 8: “K(a)tz” ist die Abbreviation für כהן צדק, “Hohepriester”, dies als eindeutiger Hinweis, dass der Verstorbene einer Priesterfamilie entstammte. Siehe besonders meinen Artikel: “Der Herr segne und behüte dich”.

Prossnitz oder Prosstitz. Im Familiennamen des großen Gelehrten und Rabbiners steht seine Geburtsstadt Prossnitz bzw. tschechisch Prostějov, eine Stadt in Nordmähren (Tschechien).

Zeile 12: Das hebräische אור לט’ז wird meist übersetzt mit “zu Beginn des 16. (Adar I)” (das hebräische Wort אור bedeutet wörtlich “Licht”) und sprachlich gebräuchlich ist, den vorangehenden Abend so zu benennen. Was aber meint אור genau? Vor allem auch im Unterschied zu נגהי ליום, was üblicherweise mit “in der Morgendämmerung des Tages xy” übersetzt wird. Im babylonischen Talmud (u.a.) gibt es dazu schon eine Diskussion:

מַתְנִי׳ אוֹר לְאַרְבָּעָה עָשָׂר בּוֹדְקִין אֶת הֶחָמֵץ לְאוֹר הַנֵּר.
“Mischna: Beim Licht zum 14. (Nisan) suche man beim Schein einer Leuchte das Gesäuerte zusammen”.

גְּמָ׳ מַאי ״אוֹר״? רַב הוּנָא אָמַר: נַגְהֵי, וְרַב יְהוּדָה אָמַר: לֵילֵי. קָא סָלְקָא דַּעְתָּךְ דְּמַאן דְּאָמַר נַגְהֵי — נַגְהֵי מַמָּשׁ, וּמַאן דְּאָמַר לֵילֵי — לֵילֵי מַמָּשׁ.

“Gemara: Was heißt ‘Licht’? R. Huna erklärte: Die Morgen(dämmerung), R. Jehuda erklärte. Die Nacht. Er glaubte, wer ‘Morgen’ sagt, meint es wörtlich, also morgens, und wer ‘Nacht’ sagt, meint es wörtlich, also nachts.”

babylonischer Talmud, Traktat Pesachim 2a

Rückseite Tafel, Zeile 2: Josef Isak Rottenberg, geb. 1912, gest. 1996, war der Sohn von Rabbi Markus Mordechai Rottenberg, Rabbiner in Antwerpen, 1944 ermordet in der Schoa, und Sara Hendel Rottenberg, ebenfalls ermordet in der Schoa. Sara Hendel (s.u. Anmerkung zu Zeile 4) war die Tochter vom Nachfolger als Rabbiner in Deutschkreutz und Schwiegersohn von Rabbiner Menachem Katz-Prossnitz, Rabbiner David Friedmann. Dieser war der Ehemann von Johanna (Hindel) Friedmann, geb. Katz (1849 – 1918), Tochter des Menachem Katz-Prossnitz.

Rückseite Tafel, Zeile 4: Sara Hendel Rottenberg wurde in der Schoa (am 1. Juni 1944 in Auschwitz) ermordet, daher der Segensspruch “Gott möge ihr Blut rächen”. Hier der Eintrag in der Datenbank von Yad VaShem.

Schade, dass auf der Tafel kein Datum zu finden ist, an dem der Grabstein neu errichtet bzw. die Tafel angebracht worden ist. Sehr wahrscheinlich ist aber der Terminus ante quem 1996, das Todesjahr von Josef Ignaz Rottenberg, der die Tafel initiierte.

 

Biografische Notizen

Rabbiner Joachim (Menachem) Katz-Prossnitz (Wannfried), geb. ca. 1795 in Prostějov (s.o. Anm. Zeile 8), gest. 17. Adar I 651 (= Montag Abend, 23. Februar 1891) mit (lt. Sterbebuch) 96 Jahren an einer Angststörung, zunächst Rabbiner in Rajka (Ragendorf, Ungarn), dann 51 Jahre lang (von 1840 an) Rabbiner in Deutschkreutz. Mit Rabbiner David Ullmann aus Lackenbach der längst dienende Rabbiner in den ehemaligen jüdischen Gemeinden des Burgenlandes. Die Familie kam wahrscheinlich ursprünglich aus Wanfried in Nordhessen, daher wird er neben “Katz-Prossnitz” oft auch “Wannfried” genannt.

Der eigentliche Nachname “Katz” weist auf seine Herkunft aus dem aaronidischen Priestergeschlecht der Kohanim (Priester) hin. Zur Bedeutung siehe vor allem meinen Artikel: “Der Herr segne und behüte dich“.
Zu dieser Herkunft passt eine Geschichte, die im Blog auch schon an anderer Stelle zu finden ist und die uns vom berühmten, wundertätigen und langjährigen Rabbiner der jüdischen Gemeinde Deutschkreutz übermittelt ist: Rabbi Menachem Wannfried Katz-Prossnitz hatte beim großen Chatam Sofer in Pressburg studiert und galt als dessen gelehrigster Schüler. So wurde er für seine Treue von Chatam Sofer sogar in dessen privaten Studierstube in die Kabbala, die jüdische Mystik, eingeweiht. Als Chatam Sofer am Sterbebett lag, besuchte ihn Rabbi Menachem Prossnitz und wurde vom Grauen gepackt, als er die Hand seines Lehrers ergriff, die sich wie aus Stein anfühlte. Chatam Sofer freute sich über den Besuch und deutete dann dem Rabbi Menachem das Zimmer zu verlassen, denn “ich sterbe”. Rabbi Menachem Prossnitz war ein Kohen und durfte sich daher nicht unter einem Dach mit einem Toten befinden [1].

Chatam Sofer starb Ende 1839, Menachem Katz-Prossnitz war damals noch Rabbiner in Rajka (Ragendorf). Bevor er sein Amt in Deutschkreutz als Rabbiner antrat, gab es eine ungewöhnlich lange Vakanz des Deutschkreutzer Rabbinats. Rabbiner Mose Glogau, Sohn des Eisenstädter Rabbiners Jechiel Michel Glogau, war 1834 gestorben, die Gemeinde ernannte unmittelbar danach aber keinen Nachfolger. Offenbar, weil sich fortschrittlichere Kräfte innerhalb der Gemeinde nicht mit den altorthodoxen Gemeindemitgliedern einigen konnten.
Zu Chanukka 1838/39 rügte Chatam Sofer die Deutschkreutzer Gemeinde:

Es muß einmal gesagt werden ‒ und bitte wendet euch nun nicht achselzuckend ab! Wie kann es sein, dass eine so angesehene Gemeinde so lange ohne Rabbiner bleibt? Setzt euch bitte zusammen und ernennt einen würdigen Mann zum Rabbiner, der sich um die geistigen Angelegenheiten kümmert. Das kann ein Gelehrter aus eurer Gemeinde sein oder auch aus einer anderen, nur soll es jemand sein, der seines Amtes würdig ist und der die Worte Gottes lehrt, nicht einer, der in fremden Sprachen schriftstellert und nichtjüdische Bücher liest. Von so einem Menschen darf man nicht Tora lernen.

Responsen “Chatam Sofer”, Choschen Mischpat, Nr. 197.[2].

1840 wurde dann sein Schüler Menachem Katz-Prossnitz Rabbiner in Deutschkreutz.

R. Menachem Katz-Prossnitz starb “am Beginn” des 16. Adar I, das bedeutet, dass er in den Abendstunden des 23. Februar, eventuell auch in den ersten Stunden des 24. Februar, verstorben ist. Im Sterbebuch ist der 23. Februar als Sterbetag ausgewiesen, daher folge ich hier diesem Eintrag.

Eintrag Sterbebuch Deutschkreutz, Joachim Katz, 23. Februar 1891
Eintrag Sterbebuch Deutschkreutz, Joachim Katz, 23. Februar 1891

Vater: Rabbi Elieser (Lazar) Wanfried
Mutter: Hindel Katz (Wertheim)

Ehefrauen und Kinder siehe bitte den Eintrag “R. Menachem Katz” auf geni.com.

Zumindest zwischen 1873 und 1890, also bis knapp vor seinem Tod im Jahr 1891, war Rabbiner Menachem Katz jährlich auf Kur, immer in Baden bei Wien. Im ersten Jahr (1873) noch alleine, danach manchmal mit seiner Ehefrau und Dienstmädchen (z.B. 1883), dann wiederum mit Ehefrau und Schwiegersohn und Nachfolger David Friedmann (z.B. 1890):

Cur- und Fremden-Liste des Curortes Baden bei Wien, 23. August 1873, Seite 1
Cur- und Fremden-Liste des Curortes Baden bei Wien, 23. August 1873, Seite 1
Cur- und Fremden-Liste des Curortes Baden bei Wien, 13. Juli 1883, Seite 2
Cur- und Fremden-Liste des Curortes Baden bei Wien, 13. Juli 1883, Seite 2

Cur- und Fremden-Liste des Curortes Baden bei Wien, 12. August 1890, Seite 2
Cur- und Fremden-Liste des Curortes Baden bei Wien, 12. August 1890, Seite 2

 

Angemerkt sei, dass das Todesdatum von R. Menachem Katz auf geni.com falsch ist. Er starb sehr wahrscheinlich in den Abendstunden des 23. Februar (siehe oben die Anmerkung zu Zeile 12) sowie den eindeutigen Eintrag im Sterbebuch. Jedenfalls starb er sicher nicht am 28. Februar 1891.

Häufig finden wir den 24. Februar als Todesdatum:

Man telegraphirt uns aus Oedenburg, 24. d.: Der älteste Rabbiner Ungarns, Joachim Katz, ist heute im 94. Lebensjahr in Deutsch-Kreutz gestorben. Der Verewigte war ein glaubenseifriger Verfechter des Orthodoxenthums (sic.!).

Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 24. Februar 1891, Seite 23.

Einen Nachruf finden wir in <"Die jüdische Presse : konservative Wochenschrift ; Centralorgan des Misrachi”, Jahrgang 22, 5. März 1891, Seite 113f:

Die gesetzestreue Judenheit Ungarns hat einen ihrer Führer und Leiter, das Gesamtjudentum eine seiner hervorragendsten talmudischen Autoritäten verloren; vorgestern ist der Nestor der ungarischen Rabbinen, R. Menachem Katz, Ober-Rabbiner von Deutsch-Kreutz, im Alter von 96 Jahren verschieden. Volle fünfzig Jahre hat der Verblichene seines Amtes gewaltet und weit über den unmittelbaren Wirkungskreis hinaus segensreich gewirkt. Einer der hervorragendsten Schüler des R. Moses Sofer sz”l (das Andenken des Gerechten möge bewahrt werden), galt er in allen religionsgesetzlichen Entscheidungen unbestritten als normgebende Autorität. Mit dem erstaunlichen Wissen verband der große Todte eine unermüdliche Thatkraft und Thatenfreudigkeit, eine seltene Hingebung, von welcher nicht nur seine Heimathgemeinde, sondern zahlreiche, der gesammten traditionstreuen Judenheit Ungarns gewidmete Institutionen, die er geschaffen und gefördert, Zeugniß ablegen. Daß er sehr häufig Führer von Deputationen an Se. Majestät den König war, dürfte auch Ihren nichtungarischen Lesern bekannt sein. Die Beerdigung gestaltete sich zu einer wahrhaft imposanten Trauer-Kundgebung, würdig des verdienstreichen Mannes, dem sie galt. Eine große Anzahl von Gemeinden hatte Deputationen entsandt, die Mitglieder der Nachbargemeinden waren vollzählig erschienen und außerdem viele, viele Schüler, Verehrer und Freunde von Nah und Fern. Die sterblichen Überreste wurden nach der Synagoge überführt, und dort widmeten vierzehn Redner dem Verblichenen Worte des Nachrufs und der Trauer…

Einen mächtigen Eindruck machte es, als während der Trauerreden ganz unerwartet der greise gefeierte Rabbiner Alt, n”j (sein Licht leuchte), aus Kobersdorf (den eine halachische Meinungs-Verschiedenheit dem Verblichenen entfremdet hatte) erschien, und dieser Eindruck wurde gesteigert, als er die Kanzel bestieg, um seiner tiefen Ergriffenheit einige Worte des Schmerzes abzuringen.[3]


[1] Siehe v.a. Shlomo Spitzer, Die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz, Wien 1995 [Zurück zum Text (1)]

[2] Siehe v.a. Shlomo Spitzer, Die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz, Wien 1995, Seite 3 [Zurück zum Text (2)]

[3] “Greise” scheint mir ein wenig übertrieben zu sein: Lázár Alt war damals 69 Jahre alt. [Zurück zum Text (3)]

 

 

Eine Art Fortsetzung des Artikels habe ich auf meiner Facebooksite geschrieben.
Weil viele Blogleser:innen und am Inhalt Interessierte aber keine Facebooknutzer:innen sind, ich aber doch glaube, dass der Inhalt für viele interessant sein könnte, Facebook ein Social-Media-Dienst ist, von dem ich selbst nicht weiß, wie lange ich ihn noch mit gutem Gewissen halten werde, binde ich den Facebooktext einfach ‒ zunächst einmal als Versuchsballon ‒ hier ein:

Am jüdischen Friedhof Deutschkreutz befindet sich unter den wenigen noch vorhanden Grabsteinen auch der wiedererrichtete Grabstein des langjährigen, großen, berühmten Rabbiners, Gelehrten und Wundertäters Rabbi Menachem Katz-Prossnitz, geb. 1795 in Prossnitz (Nordmähren), gestorben 1891 in Deutschkreutz.

Kurz nachdem der große orthodoxe Rabbiner und Gelehrte Chatam Sofer in Pressburg Ende 1839 verstorben war, trat 1840 sein Schüler Rabbi Menachem Katz-Prossnitz das Amt als Rabbiner in Deutschkreutz an. Rabbi Menachem Katz-Prossnitz führte seine Deutschkreutzer Gemeinde genau wie sein von ihm verehrter Lehrer Chatam Sofer, mit strikter Orthodoxie, immer in exakter Übereinstimmung mit der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz. Am liebsten hätte er die Kinder und Jugendlichen ausschließlich traditionell-jüdisch erzogen, aber auf kaiserlichen Befehl mussten Kinder ein Mindestmaß an Allgemeinbildung vermittelt bekommen. Menachem Katz verschickte 1847 ein Sendschreiben, in dem er vor dem privaten Umgang mit dem Schullehrer warnte, weil dieser ein “Sünder und gottloser Geselle” sei.

Stichwort Kaiser: Als führender Vertreter des ungarischen orthodoxen Judentums hatte Rabbi Menachem insgesamt 13 Audienzen bei Kaiser Franz Josef. So musste er einmal mit zwei anderen Rabbinern an einem jüdischen Feiertag beim Kaiser erscheinen, der der Delegation freundlich teure Zigarren anbot. Während die beiden Begleiter zu rauchen begannen, steckte R. Menachem die Zigarre in seine Tasche. Auf die verwunderte Frage des Kaisers, antwortete er: “Ein Geschenk, das ich von eurer Majestät persönlich erhalten habe, ist mir zu teuer, als dass ich es einfach verbrennen könnte”.

Seine letzte Audienz beim Kaiser hatte er im hohen Alter von 93 Jahren. Der Kaiser drückte dem greisen Rabbiner seine Verwunderung über dessen geistige Frische und seinen guten Gesundheitszustand aus. Darauf erwiderte ihm der Rabbiner: “Öl ist schon keins mehr drin, aber der Docht brennt noch.” Diese Antwort gefiel dem Kaiser ausnehmend gut. Also musste der Hoffotograf Rabbi Menachem fotografieren. Auf den Rand des Abzuges wurde Rabbi Menachems geistreicher Ausspruch geschrieben, und das Bild wurde dann in der Galerie der Porträts von berühmten Persönlichkeiten in der Wiener Hofburg aufgehängt….weiß zumindest die Überlieferung zu erzählen 😉

Rabbi Menachem war aber nicht nur fromm und sehr gelehrt, sondern auch wundertätig: Als etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Cholera wütete und schon 72 Gemeindemitglieder an der Seuche gestorben sind, erinnerte sich Rabbi Menachem an einen alten Brauch: Er veranstaltete auf dem jüdischen Friedhof die Hochzeit eines Waisenpaares und von diesem Tag an gab es in der Umgebung keine neuen Fälle von Cholera mehr. Auch alle, die erkrankt waren, genasen umgehend.

Selbst im Tod hat Rabbi Menachem noch Wunder gewirkt: So ist überliefert, dass jener Mann, der in der NS-Zeit für die Schändung des jüdischen Friedhofes verantwortlich zeichnete, in dem Moment von seinem scheuenden Pferd getötet wurde, als er sich dem Grabstein des großen Rabbiners Menachem Katz näherte. Als der Grabstein 30 Jahre später tatsächlich gefunden wurde (durch das wuchernde Gestrüpp war die Suche fast unmöglich), lag der Grabstein der Ehefrau des Rabbiners schützend auf seinem Grab.

(In Klammer sei kurz angemerkt, dass uns das an Rabbiner Moses Isserles, dem berühmten REMU in Krakau, gest. 1572, erinnert. Auch hier ist der erste Nazi, der seinen Grabstein zerstören wollte, wie vom Blitz getroffen tot umgefallen, für viele ein Beweis für die Wunderkraft des Rabbiners)

Siehe vor allem: Spitzer, Shlomo: Die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz; Wien-Köln-Weimar 1995, besonders Seite 3-10.

 

Über die Kategorie “Bagatellen”

 

Gefallen … für seinen Kaiser, sein Vaterland und sein jüdisches Volk

Gestern Nachmittag, am 22. August 2024, wurde auf dem Zentralfriedhof Wien der jüdische Soldatenfriedhof nach zweijähriger Sanierung feierlich wiedereröffnet. 110 Jahre und ein knappes Monat nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs am …