Über gute und sinnvolle Gewohnheiten
Grundsätzlich ist anzumerken, dass sich Konventionen im Laufe der Zeit entwickeln, angepasst, verbessert und korrigiert werden müssen. Als ich 2010 mit der digitalen Arbeit an den Friedhöfen begann, griff ich schon auf Konventionen aus meiner Printpublikation über den jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt aus 1995 zurück. Unterm Strich kommt es daher leider zu größeren Unregelmäßigkeiten bei den Konventionen. Ich bitte um Verständnis. Allerdings gibt es auch Konventionen, die ich seit bald 30 Jahren beibehalten möchte, wie die Zeilengerechtigkeit, die Transkriptionsregeln, manche Sigla, die Umschrift ins Deutsche usw.
Alle Inschriften werden immer zeilengerecht abgeschrieben, sofern dies möglich ist. Handelt es sich um Grabinschriften, bei denen die Zeilengerechtigkeit aufgrund des schlechten Zustandes nicht mehr erkennbar ist, wird entweder auf die Zeilengerechtigkeit in der Transkription verzichtet oder gesondert darauf hingewiesen, dass die Zeilengerechtigkeit nur erschlossen ist. Das ist etwa möglich, wenn in der Eulogie die Zeilen eindeutige Endreime wie “-im”, “-ot” oder “-a” etc. haben.
Auch die Übersetzung orientiert sich so gut wie möglich an den hebräischen Zeilen, was aber aufgrund der unterschiedlichen Wortstellungen im Hebräischen und Deutschen nicht immer 100% gewährleistet werden kann.
In Rundbögen verlaufende Zeilen von Grabinschriften werden in der Transkription zwar zeilengerecht dargestellt, allerdings ohne den Rundbogen nachzuempfinden (zumal dieser in den meisten Fällen ohnehin am Foto erkennbar ist). Dasselbe gilt selbstverständlich auch für andere grafische Formen wie vertikal laufende Zeilen usw.
Die abbrevierte Einleitungsformel פ”נ oder פ”ט= “PN” oder “PT” (“hier liegt begraben” oder “hier ist geborgen”) wird mitunter ‒ in den meisten Fällen auf grafischen Gründen ‒ aus dem Kontext gerissen dargestellt. Sie befindet sich also entweder nicht am Anfang der Grabinschrift oder an einer Stelle so, dass danach die übliche Zeile mit den Ehrentiteln, dem Namen nicht kommt (“Hier ist geborgen die angesehene Frau Sarl…”), die Einleitungsformel also aus dem Kontext gerissen ist. In diesen Fällen wird die Einleitungsformel aber auch an der selben Stelle wie in der Grabinschrift transkribiert. Beispiel:
Oft wird für ein brauchbares Foto erheblich viel Zeit benötigt. Die Grabsteine müssen gut gereinigt werden, bevor sie fotografiert werden, in vielen Fällen ist die Schrift besser zu sehen, wenn sie mit Kreide bzw. mit Kreide und Tuch oder ‒ je nach Gesteinsart ‒ mit Wasser bearbeitet wurde. Efeu und anderes Gewächs vorsichtig von der Inschriftenseite des Grabsteins zu lösen ist oft mühsam, weil Buchstaben nicht zerstört werden dürfen. Genauso mühsam ist oft das “gärtnerische” Saubermachen rund um den unteren Teil des Grabsteins (Gras, Äste…), vorausgesetzt dieser trägt eine Inschrift.
Üblicherweise werden meist sehr viele Fotos (es gibt die Vormittags- und die Abendsteine, je nach Sonnenstand) gemacht und mit Glück sind eines oder zwei schlussendlich wirklich brauchbar. So habe ich 2015 beim Projekt “älterer jüdischer Friedhof Eisenstadt” ca. 23.000 Fotos gemacht, aber nur ca. 1.100 davon fanden letztlich Verwendung. Häufig können Inschriften am Foto besser gelesen werden als am Grabstein vor Ort. Erhebliche Zeit braucht auch das Nachbearbeiten der Fotos mit Photoshop. “Brauchbares Foto” bedeutet, dass das Foto des Grabsteines so publiziert werden soll, dass die Inschrift möglichst lesbar ist.
Ursprünglich wurden alle Fotos mit einer Digitalkamera gemacht, mittlerweile fotografiere ich praktisch ausschließlich mit dem Handy, wenngleich bei der Anschaffung des Handys die Qualität der Kamera immer absolute Priorität für die Kaufentscheidung hat.
- Doppelte Anführungszeichen werden mit doppelten Anführungszeichen transkribiert.
- Einfache Anführungszeichen werden mit einfachen Anführungszeichen transkribiert.
- Punkte über den Buchstaben, die Jahreszahlen anzeigen, werden mit doppelten Anführungszeichen zwischen vorletztem und letztem Buchstaben der Jahreszahl transkribiert.
- Punkte über den Buchstaben, die Akrostycha anzeigen, werden fett transkribiert.
- Großgestellte Buchstaben werden in der Transkription ignoriert, wenn sie einen (vollen) Vor- und/oder Nachnamen anzeigen.
- Großgestellte Buchstaben werden fett transkribiert, wenn sie einen Buchstaben innerhalb eines Akrostichons anzeigen.
- Befindet sich die hebräische Inschrift in Rundbögen, vertikalen Darstellungen etc., werden diese Darstellungen oder jede andere kreative Darstellung der Inschrift in der Transkription ignoriert (vor allem, weil grafisch nicht gut oder nur mit großem zusätzlichen Aufwand darstellbar und das Foto des Grabsteins ohnehin auch zur Verfügung gestellt wird).
Für hebräische Namen und Wörter, die sich im Deutschen nicht ändern, gilt:
Der hebräische Buchstabe Schin ש wird immer mit „S/sch“ (und nicht mit „S/sh“), auslautendes He (ה), wenn es ein Vokalsymbol ist, nicht als Konsonant „h“ geschrieben, sondern in der Umschrift ignoriert, also z.B.: Schalom, Schoa, Sara usw.
(Anmerkung am Rande: Dabei handelt es sich nicht um Marginalien, sondern die Entscheidung hatte sogar manchmal fatale Folgen: So fragte mich die Sachbearbeiterin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus 2010 tatsächlich, ob ich denn überhaupt Hebräisch könne, wenn ich doch “Schoa” und nicht “Shoah” schreibe. Eingereicht hatte ich ein Projekt, in dem es um hebräische Grabinschriften ging, bekommen haben wir keinen Cent, siehe meinen ohnehin auch andernorts verlinkten Beitrag aus 2010. Dabei bin ich in bester Gesellschaft wie ich meine, denn die nunmehrige Direktorin des jüdischen Museums Wien, Barbara Staudinger, schrieb zu diesem Thema 2021? den Artikel: Eine Fußnote zur Ausstellung »Schalom Sisters! ‒ Jüdisch-feministische Positionen«.)
Die anderen hebräischen Buchstaben werden so umschrieben, dass sie „gut lesbar“ sind, also im Wesentlichen nicht den Transliterationsregeln folgen, sprich:
צ wird mit „tz“ und nicht mit „ṣ“ (S mit Unterpunktakzent) umschrieben, also Zion und nicht Ṣion usw.
ז wird mit „s“ umschrieben und nicht mit „z“, also „Elieser“ und nicht „Eliezer“, „sichrono“ und nicht „zichrono“ („sein Gedächtnis“) sowie “Salman” und nicht “Zalman” usw.
In der deutschen Umschrift werden Abkürzungen immer mit runden Klammern gekennzeichnet, aber übersetzt, also etwa פ”ט „H(ier ist) g(eborgen)“.
Ausnahme von dieser Regel ist die Abkürzung מו”ה o.Ä. Diese sehr häufig vorkommende Abkürzung wurde üblicherweise mit „MORENU“ umschrieben (als terminus technicus eines Ehrentitels) und immer mit einer Anmerkung versehen. Das war eine Entscheidung, die ich schon 1992 getroffen und immer beibehalten habe. Mittlerweile plane ich die Abkürzung auch im Deutschen aufzulösen, also „U(nser) L(ehrer und) M(eister)“ oder ähnlich, die Anmerkung, dass es sich um eine Art „jüdischen Professorentitel“ handelt usw. wird aber jedenfalls bleiben. Die 284 im Blog vorkommenden Stellen mit „MORENU“ werde ich peu à peu aufarbeiten und korrigieren. Der Grund zur Änderung kam mit der Praxis: wenn ich Führungen auf jüdischen Friedhöfen mache und die eine oder andere Inschrift auf Deutsch vorlese, lese ich automatisch „unser Lehrer und Meister“ und nicht „MORENU“, weil Zweiteres nur jemand, die/der mit hebräischen Grabinschriften vertraut ist, verstehen würde. Und beim Lesen im Blog erspart es sicher der Leserin bzw. dem Leser, die Anmerkung ansehen zu müssen.
Die verwendeten Sigla:
- () Runde Klammern werden in der Umschrift für Abkürzungen verwendet (s.o.)
- […] Eckige Klammern und Punkte auf der Zeile deuten eine bestimmte Anzahl von nicht rekonstruierbaren Buchstaben an.
- {…} Geschwungene Klammern umgeben hier nicht wie im Leidener Klammersystem Text, den ich als überflüssig tilge, weil versehentlich doppelt geschriebene Worte oder Wortteile, sondern wird ausschließlich (wenn auch nicht 100% konsequent über die Jahre) verwendet, um Symbole (Kannen, segnende Hände, Trauerweiden, Kronen etc.) anzuzeigen.
- <…> Spitzklammern umgeben im Hebräischen einen Text, der in der Grabinschrift eindeutig orthographisch falsch ist und von mir korrigiert wurde.
Sigla wie Punkte unter den Buchstaben, die nicht vollständige Buchstaben in der Inschrift anzeigen, werden in Hinkunft exakter eingesetzt.
Siehe auch meine kleine Erklärung zur Zeitrechnung sowie alle Monate zum Download.
Sehr häufig finden wir das Sterbedatum nicht als reines „Datum“ geschrieben, also mit 4 oder 5 hebräischen Buchstaben, die dann addiert werden müssen, sondern „verpackt“ in einen Bibelvers oder in einen Vers der rabbinischen Literatur.
Ebenfalls oft wird das Sterbedatum mit Hilfe der Parascha, dem wöchentlichen Toraabschnitt, angegeben „am Vortag des heiligen Schabbat der Parascha Noah des Jahres 634“. Korrekt umgerechnet ist das der 17. Oktober 1874. Siehe:
Dazu kommt dann noch das Sterbedatum in den Sterbematriken. Idealfall ist, wenn beide Sterbedaten (Grabinschrift und Sterbebuch) übereinstimmen. Nicht immer finden wir in den Sterbebüchern das Sterbedatum auch als jüdisches Datum und wenn, ist es in den meisten Fällen nur vom eingetragenen bürgerlichen Datum umgerechnet, also nicht wirklich hilfreich.
Vorsicht ist immer geboten, wenn jemand in den späten Abendstunden stirbt: denn das ist dann schon der nächste jüdische Tag (der immer am Abend beginnt), aber noch der „alte“ bürgerliche Tag!. Größere Datumsdifferenzen machen auch größere Probleme in der Entscheidung, welches Sterbedatum das richtige ist. Mehr würde hier aber nur unübersichtlich werden, in all diesen Fällen gibt es immer ausführliche Anmerkungen.
Die biblischen Bücher werden dabei üblicherweise nach den Loccumer Richtlinien zitiert (und nicht nach ihren hebräischen Namen), allerdings ausgeschrieben und nicht abgekürzt. Die Loccumer Richtlinien werden aber ausschließlich für die Schreibweise der biblischen Bücher und nicht für die biblischen Namen oder die hebräische Umschrift etc. herangezogen.
Zitate aus der rabbinischen Literatur werden auch möglichst verständlich ausgeschrieben, also nicht „Keth 77a“, sondern „Babylonischer Talmud, Traktat Ketubbot 77a“ usw.