Der Transkribierer

Über die hebräischen Grabinschriften I

Die Zeit drängt oder was läuft falsch in Österreich?

עשרה דברים קשים ללימוד העובר תחת האפסר [הגמל] וכל שכן תחת גמל [עצמו] והעובר בין שני גמלים והעובר בין שתי נשים והאשה העוברת בין שני אנשים והעובר מתחת ריח רע של נבילה והעובר תחת הגשר שלא עברו תחתיו מים מ’ יום והאוכל פת שלא בשל כל צרכו והאוכל בשר מזוהמא ליסטרון והשותה מאמת המים העוברת בבית הקברות והמסתכל בפני המת ויש אומרים אף הקורא כתב שעל גבי הקבר
 

Zehn Dinge sind für das Studium unzuträglich: wenn man unter einem Halfter durchgeht, und um so mehr, wenn unter einem Kamel; wenn man zwischen zwei Kamelen durchgeht; wenn man zwischen zwei Frauen durchgeht; wenn eine Frau zwischen zwei Männern durchgeht; wenn man am schlechten Geruche eines Aases vorübergeht; wenn man unter einer Brücke durchgeht, unter der vierzig Tage kein Wasser gelaufen ist; wenn man ungenügend gekochtes Fleisch isst; wenn man (Fleisch) aus einem Schaumlöffel isst; wenn man Wasser aus einem Wasserarm trinkt, der sich durch Gräber hinzieht; und wenn man in das Gesicht eines Toten schaut. Manche sagen, auch wenn man die Inschriften auf den Gräbern liest.

Babylonischer Talmud, Traktat Horajot 13b

Ähnlich, vielleicht etwas einschränkend (also nicht Inschriften grundsätzlich, sondern nur jene, die hervorstehen), im Kitzur Schulchan Aruch:

הַקּוֹרֵא כְּתָב שֶׁעַל גַּבֵּי הַמֵּצֵּבָה, אִם הוּא כְּתָב בּוֹלֵט, קָשֶׁה לְשִׁכְחָה. וּסְגֻלָּה לוֹמַר, אַהֲבָה רַבָּה עַד וּלְיַחֶדְךָ בְּאַהֲבָה (רכד).
 

Die Inschrift auf einem Grabstein zu lesen, wenn diese hervorsteht, fördert das Vergessen. Ein Heilmittel dagegen ist, “Ahava raba” (“Große Liebe”) bis zur Stelle “und Deine Einheit in Liebe zu verkünden”[1].

Kitzur Schulchan Aruch 128,13

Selbstverständlich richten sich die zitierten rabbinischen Stellen nicht gegen die Grabinschriften an sich, die (scheinbare) Kritik ist im Kontext mit dem persönlichen und lebendigen Gedächtnis an die Toten zu verstehen.

Sonst wäre wohl auch die lange Tradition von (wissenschaftlichen) Arbeiten an und mit hebräischen Grabinschriften nicht möglich.

Und nun einige Bemerkungen über die äußere Form der Inschriften, die eigentlich das Wesentliche des Grabmales sind. Die Schrift ist oft der einzige Schmuck des in der Regel einfach gehaltenen jüdischen Grabsteins; sie bedeckt das Mittelfeld des Steines meist in parallelen Zeilen. Manchmal schmiegt sie sich aber auch im oberen Teile des Steines dem Bogen der Bekrönung an… Oft wird auch die Umrahmung und selbst die Bekrönung mit Schrift versehen…

Wachstein B., Die Grabinschriften des Alten Judenfriedhofes in Eisenstadt, Eisenstädter Forschungen, hrsg. von Sándor Wolf, Band I, Wien 1922, LVIII.

 

Denken wir nur an bedeutende Gelehrte der Vergangenheit, die sich größte Verdienste auch oder besonders um das Transkribieren und Bearbeiten von hebräischen Grabinschriften gemacht haben: Dr. Bernhard (Berel, Dov Ber ben Mose) Wachstein, geb. 1868 in Galizien, gest. 15. Jänner 1935 in Wien und begraben auf Tor IV Zentralfriedhof Wien. Wachstein war von 1919 bis zu seinem Tod Direktor der Bibliothek der IKG, die unter seiner Leitung die Blütezeit erlebte, und gilt als Vorbild des Sinologen Peter Kien im Roman “Blendung” von Elias Canetti. Seine Bearbeitungen des alten jüdischen Friedhofes von Wien in der Seegasse (1. Teil: 1540-1670 und 2. Teil: 1696-1783 sowie jene des älteren jüdischen Friedhofes von Eisenstadt sind die Standardwerke schlechthin.

 

Oder nach 1945 der Hebraist Naftali Bar-Giora Bamberger, geb. 1919 in Hamburg, gest. 2000 in Jerusalem, u.a. Gründer des “Bamberger Family Archives” in Jerusalem, dessen publizierte Bearbeitungen jüdischer Friedhöfe (Höchberg, Göppingen, Jebenhausen, Celle, Hanau, Wandsbeck, Gailingen…) ebenso als Standardwerke gelten dürfen.

Müßig anzumerken, dass meine Arbeit ohne diese beiden Gelehrten nicht möglich wäre. Ihre Werke liegen nach wie vor praktisch permanent griffbereit auf meinem Schreibtisch.

 

Wachstein adressierte seine Publikationen vor 1938 primär an jüdische Leser (sein Auftraggeber war die Historische Kommission der Israelitischen Kultusgemeinde Wien). Bei seiner Arbeit über den jüdischen Friedhof in der Seegasse ging es im Wesentlichen darum, die Geschichte und somit die Bedeutung der jüdischen Gemeinde Wiens wissenschaftlich zu ergänzen:

Die unterzeichnete Kommission hält es für angemessen, dem ersten Bande eines Werkes über das hervorragende historische Denkmal der Wiener Jüdischen Gemeinde einige Worte über die Entstehungsgeschichte des Buches vorauszuschicken.
Die erste Anregung zu einer neuen, wissenschaftlichen Bearbeitung dieses wichtigen Quellenmaterials gab der verewigte ausgezeichnete Forscher
David Kaufmann, der … die Notwendigkeit photographischer Aufnahmen und der Anfertigung von Abklatschen der Grabinschriften betonte. Kaufmanns am 6. Juli 1899 erfolgter Tod verhinderte ihn, die Edition selbst in Angriff zu nehmen… Herr Dr. Bernhard Wachstein wurde gleich anfänglich von der Kommission mit den Vorarbeiten und … mit der Bearbeitung des Inschriftenwerkes betraut.

Wachstein, Bernhard: Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien : 1. Teil. 1540 – 1670 / im Auftr. d. Hist. Kommission d. Israelitischen Kultusgemeinde in Wien bearb. von Bernhard Wachstein. Wien [u.a.]. Wien [u.a.], 1912, Vf.

Wachsteins Arbeiten über Wien und Eisenstadt wurden vor rund 100 Jahren verfasst.

 

Buchcover 'Bamberger, Die jüdischen Friedhöfe in  Wandsbek'

Ganz anders bei Naftali Bar-Giora Bamberger. 1997 (Hamburg) publizierte er das Memor-Buch Die jüdischen Friedhöfe in Wandsbek בתי הקברות היהודיים בונדזבק, das aus zwei Teilen besteht: Der erste dicke und schwere Band mit über 1.200 Seiten behandelt den jüdischen Friedhof an der Königsreihe, der zweite sehr dünne Band den jüdischen Friedhof an der Jenfelder Straße. In “Zum Geleit” schreibt Bamberger:

Dieses Werk, mein sechstes ‘Memor-Buch’ über jüdische Friedhöfe in Deutschland, will nicht nur zur Verständigung zwischen ehemaligen und heutigen Bürgern Hamburgs beitragen, sondern soll letztere dazu anregen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es soll sie ermahnen, die jüdischen Friedhöfe zu bewachen, vor Willkür zu schützen und sich ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung bewußt zu sein.

Bamberger, Wandsbek, a.a.O., 9.

In Deutschland gibt es heute das Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen (mit all seinen Partnerprojekten und -portalen wie PEACE Portal oder Europeana und natürlich NET OLAM Jüdische Friedhöfe im Fokus von Antisemitismus und Prävention[2] etc.). Das Institut betreibt die Forschungsplattform für jüdische Grabsteinepigraphik epidat. Die Datenbank beinhaltet mittlerweile ca. 47.000 Grabmale und mehr als 85.000 Bilddateien. Institutsmitarbeiterin ist (seit 2003 ständig) u.a. die Judaistin Nathanja Hüttenmeister (geb. 1967), Tochter des Judaisten Frowald Gil Hüttenmeister (geb. 1938), zu dessen wissenschaftlichen Schwerpunkten ebenfalls die Forschungen über jüdische Friedhöfe gehört. Erwähnt werden muss vor allem Frowald Hüttenmeisters geniales “Abkürzungsverzeichnis hebräischer Grabinschriften, 2. erweiterte Auflage, Tübingen 2010, ein Buch, das für die seriöse Arbeit mit hebräischen Grabinschriften absolut unverzichtbar ist.
In seinem “Der jüdische Friedhof Wankheim, Tübingen 1995, macht Hüttenmeister im Vorwort klar, wofür diese Arbeiten über jüdische Friedhöfe nach 1945(!), heute, stehen:

Diese Dokumentation ist keine Geschichte der Juden in Wankheim. … Diese Dokumentation soll ein “Jad wa-Schem”, ein “Denkmal und Name” (Jes 56,5), für die Juden aus Wankheim, auch auch aus Dußlingen, Tübingen und Reutlingen sein und das Andenken an sie, ihr Wirken für ihr Dorf und ihre Liebe zu ihrer Heimat wachhalten und im Zeichen eines wiederaufkommenden Antisemitismus und Fremdenhasses Mahnung und Anlass zum Nachdenken für uns sein.

Hüttenmeister F.G., Wankheim, a.a.O., 7.

Anfang August 2023 veröffentlichte die Universität Duisburg Essen die Pressemeldung, dass ein Team des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts und der Universität Bamberg ein Projekt mit der Laufzeit von 24 Jahren starten wird, das die Begräbniskultur von 35 jüdischen Friedhöfen in Deutschland umfassend erforschen und digital dokumentieren wird. Die Fördersumme des Projekts beläuft sich immerhin auf 400.000 Euro jährlich.

Bis 2021 war der Judaist Michael Brocke (geb. 1940) Direktor des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. 2008 erhielt Brocke den Moses-Mendelssohn-Preis des Landes Berlin.

Nach Einschätzung der Jury ist Brocke einer der renommiertesten deutschen Judaisten nichtjüdischer Herkunft und hat sich insbesondere in der wissenschaftlichen Dokumentation und Erforschung jüdischer Friedhöfe herausragende Verdienste erworben.

Wikipediaartikel “Michael Brocke”

Besonders erwähnen darf ich das ‒ auch aus bibliophiler Perspektive betrachtet ‒ sehr schöne Buch “Verborgene Pracht: Der jüdische Friedhof Hamburg-Altona ‒ Aschkenasische Grabmale”, das Michael Brocke zusammen mit dem Salomon Ludwig Steinheim-Institut 2009 herausgab.
Das Buch besticht neben den grafisch sehr ansprechenden Übersetzungen von ausgewählten Inschriften durch Beiträge zur Topografie und Ästhetik des Friedhofes sowie durch ein großes Kapitel über die Gemeinde- und Sozialgeschichte im Spiegel der Inschriften.

 

Auch im Nachbarland Tschechien gibt es großartige Initiativen und Webportale, die mit höchstem Engagement und Seriosität Unmengen an dokumentierten Daten zur Verfügung stellen. Stellvertretend genannt sei Achab Haidler mit seinem Portal Chewra.com, dessen Anliegen nicht nur die Dokumentation der jüdischen Friedhöfe, sondern auch deren Rettung vor dem physischen Verfall ist.
Im westböhmischen Tachau (Tachov), ca. 55km westlich von Pilsen, beheimatet ist Václav Fred Chvátal, Kopf von Tamus.tachov.org, ebenfalls eine Nonprofitorganisation, die sich unter anderem vor allem auch der Dokumentation und Erhaltung jüdischer Friedhöfe verschrieben hat. Der Arbeitsradius zieht sich dabei nahezu über die gesamte tschechische Republik. Näheres erfährt man in den jährlich präsentierten Jahresberichten.

Bleibt schließlich noch traurig anzumerken, dass es in Österreich kein universitäres Institut gibt, das sich den jüdischen Friedhöfen mit hebräischen Grabinschriften widmet, dass jüdische Grabsteinepigrafik an keinem der einschlägigen universitären Institute als Lehrveranstaltung angeboten wird (Institut für Judaistik in Wien, Centrum für Jüdische Studien in Graz, Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte in Salzburg) und dass es als jüdisches Museum (zumindest gilt das für jenes in Eisenstadt) Jahrzehnte lang nicht möglich war, auch nur einen Cent Förderung für die Dokumentation oder Archivierung der Grabinschriften zu lukrieren, auch nicht von Stellen wie dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus oder besonders dem Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich (s. etwa den Beitrag darüber aus 2010). Aber die genannten Institutionen fördern halt auch nicht Dokumentationen, sondern ‒ wie der Name schon sagt ‒ Instandsetzungen von jüdischen Friedhöfen (neue Zäune, Befreiung von Efeubewuchs etc.). Das Problem liegt offenbar tiefer, in der Gesetzgebung.

Schon vor mittlerweile 13 Jahren, Anfang 2010, schrieb ich:

Ich würde mir wünschen, dass die Erhaltung der jüdischen Friedhöfe (nicht nur) im Burgenland nicht immer mit dem Reparieren der Friedhofszäune beginnt und dem Aufstellen von umgefallenen Grabsteinen endet.

Siehe meinen Blogartikel “Am jüdischen Friedhof II

Die Zeit drängt: Insbesondere durch Umwelteinflüsse verwittern die Grabinschriften in den letzten 30 Jahren wesentlich schneller als in den über 300 Jahren davor. Inschriften, die 1993 noch klar lesbar waren, konnte ich 2017 kaum mehr entziffern, siehe Grabstein Samu Mayer, 12. Mai 1888.

Im Blog, immerhin einer Website mit österreichischer Top-Level-Domain, sind von knapp 3.000 Kommentaren zu den jüdischen Friedhöfen nicht einmal ein Prozent der Kommentare aus Österreich, ein gering höherer Prozentsatz nur aus dem deutschen Sprachraum und der überwiegende Teil aus den USA, Südamerika und Israel.
In den ziemlich genau 30 Jahren, in denen ich schwerpunktmäßig Inschriftenarbeit betreibe, gab es keine einzige Anfrage einer Studentin oder eines Studenten oder auch einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters im musealen Dienst, die oder der Interesse an meiner Arbeit gezeigt hätte oder auch nur bereit gewesen wäre, sich in die Materie einzulesen.[3] Ich habe keine Erklärung dafür, zumal Peter Honigmann von 1991 bis 2016 Leiter des Heidelberger Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, schon 1993 ein ganz anderes Bild zeichnet:

An den Universitäten sind Friedhofsdokumentationen zu einem beliebten Kabinettstück im Fach Judaistik geworden. Und die finanzielle Förderung solcher Arbeiten wird von den Kommunalverwaltungen schon fast als eine Pflichtübung der Erinnerungsarbeit betrachtet.

Peter Honigmann, Dokumentation jüdischer Grabinschriften in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden I/1993, 271.

In Österreich (nach 1945) übersetzte und bearbeitete Barbara Schildböck in ihrer Diplomarbeit 1988 auch die hebräischen Grabinschriften des jüdischen Friedhofes Mödling. Davor gab es das “Pionierwerk” meiner Studienkollegin Patricia Steines “Hunderttausend Steine: Grabstellen großer Österreicher jüdischer Konfession auf dem Wiener Zentralfriedhof, Tor 1 und Tor 4” 1992, in dem es aber “nur” um eine erste Friedhofsdokumentation und einige ausgewählte biografische Daten geht.
1995 erschien meine Publikation über den jüngeren jüdischen Friedhof in Eisenstadt und damit über einen Friedhof, der praktisch ausschließlich hebräische Grabinschriften aufweist, ausnahmslos alle hebräischen Inschriften wurden transkribiert und übersetzt (s. auch “Über den Transkribierer“).

2002 erschien ein Buch über den jüdischen Friedhof Baden von Kornelius Fleischmann, in dem aber nur 100 Grabinschriften (von insgesamt 2.200!) bearbeitet werden und über das ich hier lieber den Mantel des Vergessens breite.
Ebenfalls 2002 erschien “Das steinerne Archiv. Der alte Judenfriedhof in der Rossau” von Traude Veran, mit vielen allgemeinen Überblicken und Einleitungen, aber immerhin mit einer vollständigen Liste der erhaltenen Grabsteine dieses ältesten jüdischen Friedhofes in Wien. Also eine Art Kurzversion der ausführlichen Printdokumentation von Dr. Bernhard Wachstein (s.o.).

Der im März 2006 erschienene Sammelband “Keil M., Forisch E., Scheiber E. (Hrsg.), Denkmale. Jüdische Friedhöfe in Wien, Niederösterreich und Burgenland” versteht sich als aktualisierte und erweiterte Auflage des Bildbandes “Mahnmale” aus dem Jahr 1992 (von Patricia Steines und Klaus Lohrmann), bietet aber eine Reihe von guten Überblicksartikeln über die im Titel genannten Friedhöfe, freilich ebenfalls ohne irgendein Augenmerk auf hebräischen Grabinschriften.

2010 erschien “Judenbichl. Die jüdischen Friedhöfe in Innsbruck” von Thomas Albrich (Hrsg.), eine sehr gründliche historische Arbeit, über die Entstehung der beiden jüdischen Friedhöfe in Innsbruck sowie mit einem alphabetischen Verzeichnis der jüdischen Beerdigungen 1790-2002. Keine hebräischen Grabinschriften, keine Trankriptionen, keine Übersetzungen.

2011 publizierte Tina Walzer “Der jüdische Friedhof Währing in Wien“. Historische Entwicklung, Zerstörungen der NS-Zeit, Status quo”. Ein Buch, das die historische und bauliche Entwicklung des Friedhofes, die Zerstörungen der NS-Zeit sowie Teilinventare der durch die IKG Wien, das Naturhistorische Museum etc. Exhumierten behandelt, aber eben auch weder hebräische Grabinschriften noch Transkriptionen oder Übersetzungen.

Ebenfalls 2011 publizierte Werner Sulzgruber die Datenbank zum jüdischen Friedhof Wiener Neustadt mit einer vollständigen Liste der Beerdigten und wertvollen biografischen Informationen. Freilich ohne die hebräischen Inschriften gesondert zu berücksichtigen.

Erst kürzlich, im Frühjahr 2023, veröffentlichte Elie Rosen sein Buch über den jüdischen Friedhof Baden bei Wien. Im Prolog schreibt der Autor:

Die vorliegende Publikation versteht sich durchwegs als Bestandsaufnahme, sie will dem Leser einen breiten Überblick über den Friedhof selbst geben und ihm zeitgleich eine Auseinandersetzung mit der Thematik ‘Tod und Sterben im Judentum’ ermöglichen. Daher informieren in diesem Werk einerseits kompakte Texte über die mit dem Sterben, dem Tod und dem Friedhofswesen im Judentum im Allgemeinen stehenden Gebräuche, Gebote und Rituale, andererseits wird die Geschichte der jüdischen Gemeinde Baden ebenso angerissen wie auch die Geschichte ihres Friedhofes…[4]

Zu den über 200 Fotos von Grabsteinen gibt es zum Teil ausführlichere biografische Informationen über den oder die Verstorbene(n), den hebräischen Inschriften wird aber außer einiger allgemeineren Einführungen sowie der einen oder anderen Anmerkung keine besonderere Aufmerksamkeit gewidmet. Inschriften werden nie transkribiert und nur drei Inschriften werden übersetzt.
Praktisch dasselbe gilt auch für das nur wenige Monate vorher erschienene Buch von Elie Rosen über den jüdischen Friedhof in Graz. Allgemeine Überblicke, Biografien zu ca. 100 ausgewählten Grabsteinen, einige grobe Inhaltsangaben von hebräischen Grabinschriften, einige übersetzte Akrostycha, aber weder Transkriptionen noch Übersetzungen oder Dokumentationen von hebräischen Grabinschriften.[5].

Seit 2010 publiziere ich die hebräischen Grabinschriften ausschließlich online, Genaueres unter “Über den Transkribierer“.

Die Liste erhebt selbstverständlich keinerlei Vollständigkeitsanspruch und sie ist auch nicht als Kritik, sondern als eine etwas grobe Bestandsaufnahme zu versehen. Sie zeigt aber schon deutlich, dass es in Österreich nach 1945 doch manche lobenswerte Initiative gegeben hat. Sowohl die historischen und kulturhistorischen Überblicke oder auch insbesondere jene Publikationen (on- und offline) mit vollständigen Listen der Beerdigten sind natürlich enorm wichtig. Manchmal wird meines Erachtens ein wenig über das Ziel hinausgeschossen, wenn der Inhalt gefüllt wird mit Gebeten und Lyrik zu den Bräuchen rund um Tod, Trauer und Begräbnis im Judentum. Aber sei’s drum, ich verstehe, dass sich Autorinnen und Autoren sowie die Verlage Gedanken machen müssen, welche Inhalte sie am besten an die Leserinnen und Leser bringen.

Aber was ich absolut nicht verstehen kann: Warum besteht in Österreich kein Interesse an nachhaltigen und vollständigen Dokumentationen der hebräischen Grabinschriften, an Inschriften, es sei zum wiederholten Male angemerkt, die wir in einigen Jahren nicht mehr sichern können, weil sie nicht mehr lesbar sind. Das alles können manche unserer Nachbarländer besser.

In Österreich ist halt leider alles ganz anders.

 

[1] Das Gebet “Ahava rabba” ist ein Segensspruch, der im jüdischen Morgengebet kurz vor dem “Schma Israel” (“Höre Israel”) gesagt wird, siehe mehr Informationen zum Gebet sowie Text und Übersetzung. [Zurück zum Text (1)]

[2] Dazu kommen dann wiederum weitere Partnerprojekte wie die “ Erfassung jüdischer Grabmäler in Bayern“. [Zurück zum Text (2)]

[3] Der Fairness halber muss erwähnt werden: In den letzten Monaten im Museumsdienst bzw. nur wenige Wochen, bevor ich im Juni 2023 die Geschäftsführung des jüdischen Museums in Eisenstadt zurücklegte, bewarb sich ein junger Student der Judaistik als Führungskraft (für Führungen von Schulgruppen und Touristengruppen usw.) im Museum, der nicht nur schon ein wenig einschlägige Erfahrung in der Bearbeitung von hebräischen Grabinschriften hatte, sondern der auch meine Arbeit ziemlich genau kannte und großes Interesse dafür aufbrachte. [Zurück zum Text (3)]

[4] Rosen Elie, Im Tod liegt die Unendlichkeit. Der jüdische Friedhof von Baden bei Wien. Vom Tod und Sterben im Judentum. בית החיים היהודי של באדען, Wien 2023, 12 [Zurück zum Text (4)]

[5] Rosen Elie, Haus des Lebens. Der jüdische Friedhof von Graz. Vom Sterben im Judentum. Beit Ha’Chajim. בית החיים היהודי של גראץ, Wien 2023. [Zurück zum Text (5)]

 

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