Taubenmeinsterl Minka – 19. April 1834

Taubenmeinsterl Minka – 19. April 1834

Personenregister jüdischer Friedhof Kobersdorf

Minka Taubenmeinsterl?, 10. Nisan 594 (= Schabbat, 19. April 1834)

Minka (Taubenmeinsterl), 19. April 1834
Grabstein Minka (Taubenmeinsterl), Ehefrau des Mose Löb, 10. Nisan 594 = Schabbat, 19. April 1834

 

Die Grabinschrift

Inschrift Minka Taubenmeinsterl: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] I(hre Seele) ging hinweg a(m heiligen) Sch(abbat, 10. Nisan 594 ינ ש”ק יוד ניסן תקצ”ד
[2] n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung). לפק
[3] Eine angesehene und tugendhafte Frau, אשה חשובה וכשרה
[4] Krone ihres Ehemanns und sanftmütig. עטרת בעלה ועלובה
[5] Sie wandelte auf lauterem Weg, הלכה בדרך תמימה
[6] Minka, E(hefrau) d(es ehrbaren Herrn) Mose Löb, מינקה א”כ משה ליב
[7] s(ein Andenken [möge bewahrt werden]. ז[“ל]
[8] I(hre) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). תנצב”ה
 

Anmerkungen

Standort: Der Grabstein befindet sich derzeit noch an der östlichen Begrenzungsmauer des Friedhofes nahe dem Eingangstor. Er war während der Renovierungsarbeiten zwischen 2016 und 2018 an der Mauer mit anderen Grabsteinfragmenten abgelegt worden und wurde mit den anderen Grabsteinen bzw. Grabsteinfragmenten im Sommer 2023 entlang und auf der Mauer aufgeschlichtet, damit die Möglichkeit bestand die Inschriften zu lesen.

Siehe dazu meine drei Artikel “Jüdischer Friedhof Kobersdorf, schwere Arbeit I” und “Jüdischer Friedhof Kobersdorf, schwere Arbeit II” vom 17. und 20. Juli 2023 sowie “An und auf der Mauer” vom 1. Oktober 2024.

Zum Nachnamen (der, das sei vorweggenommen, offen bleiben muss): Die hebräische Inschrift nennt, so wie wir es in dieser Zeit erwarten, den Vornamen der Verstorbenen (Minka) sowie (in diesem Fall) den Namen des (schon verstorbenen) Ehemanns (Mose Löb). Den (bürgerlichen) Nachnamen von Minka finden wir im Sterbebuch von Kobersdorf (s.u.). Dort jedoch lesen wir “Minko” und nicht “Minka”, vor allem aber irritiert der Nachname “Taubenmeinsterl”. Jetzt einmal abgesehen davon, dass der Name “Taubenmeinsterl” in unseren Ohren seltsam klingt, ist dieser Name weltweit nirgends ein zweites Mal zu finden und ich übernehme den Namen aus dem Sterbebuch mit großem Vorbehalt und einem dicken Fragezeichen. Dass keine Eltern genannt sind im Sterbebucheintrag, sollte uns 1834 wenig verwundern, zumal die Verstorbene mit 70 Jahren starb.

“Meinsterl”, manchmal auch “Meisterl”, ist in dieser Zeit, also in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein gelegentlich vorkommender Vorname, auch in Kobersdorf, siehe etwa: Jakob Löb, Sohn des Meinsterl, gest. 13. August 1832. Aber eben, soweit ich sehe, immer ein Vorname, nie ein Nachname.

Liegt im Sterbebucheintrag eine schlampige Schreibung vor und “Taube” ist ein zweiter jüdischer Vorname der Verstorbenen? Dann wäre vielleicht “Meinsterl” der Vorname des Vaters oder eventuell auch ein “Vulgo”-Name des Ehemanns (Mose Löb), unter dem die Witwe Minka bekannt war? Allerdings würde ich in diesem Fall aber vielleicht doch auch eine Nennung in der hebräischen Inschrift erwarten.

Zeile 4: Sprüche 12,4 עטרת בעלה.

Das letzte Wort in dieser Zeile, עלובה (“aluva”), beschäftigte mich mehrere Tage. Wir finden es ‒ soweit mir bekannt ist ‒ kaum in hebräischen Grabinschriften. Der Grund für dieses Nicht-Vorkommen des Wortes ist dessen eigentlich durchgängig negative Bedeutung, jedenfalls negative Konnotation: So wird עלוב (“aluv”, “aluva” ist die weibliche Form) im Modernhebräischen mit “elend”, “jämmerlich” oder “armeselig” übersetzt. In der hebräischen Bibel findet sich das Wort nicht und in der jüdischen Traditionsliteratur kommt es ebenfalls mit vorwiegend negativer Bedeutung vor.

Aber, es gibt auch einige wenige Ausnahmen, dass nämlich עלובה positiv verstanden wird, wie etwa in dem wohl in der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts n.d.Z. endregierten Auslegungsmidrasch Bereschit Rabba (Genesis Rabba) 45, wo es im Kontext der Schwangerschaft von Hagar, der Magd Saras, heißt:

…וְהָיוּ מַטְרוֹנִיּוֹת בָּאוֹת לִשְׁאֹל בִּשְׁלוֹמָהּ שֶׁל שָׂרָה וְהָיְתָה שָׂרָה אוֹמֶרֶת לָהֶם צְאוּ וְשַׁאֲלוּ בִּשְׁלוֹמָהּ שֶׁל עֲלוּבָה, וְהָיְתָה הָגָר אוֹמֶרֶת לָהֶם שָׂרַי גְבִרְתִּי אֵין סִתְרָהּ כְּגִלּוּיָהּ,…
“Adlige Frauen würden kommen und sich nach Saras Wohlergehen erkundigen, und Sara würde sagen: ‘Geh und erkundige dich nach dem Wohlergehen dieser sanftmütigen Frau’ [Hagar]. Hagar würde zu ihnen sagen: ‘Meine Herrin Sara, ihr Innerstes entspricht nicht ihrer äußeren Erscheinung…’

In Deutschland kenne ich nur einen einzige Inschrift, in der das Wort עלובה vorkommt und diese ist aus dem Jahr 1209 (!): Maimuna bat Natan Hakohen verstarb am 02. Juni 1209 und ist am jüdischen Friedhof in Worms begraben. Übersetzt wird “aluva” da mit “Demütige”. Der Anmerkung dazu

Unsicher ist, wie das hier mit “Demütige” übersetzte “‘aluwa” genau zu verstehen ist. Es kann nicht “gekränkt” oder “beleidigt” meinen, da es gewiss ein Lob ausdrückt.

stimme ich selbstverständlich vollkommen zu. Es gilt als absolutes No-Go, insbesondere in einer hebräischen Grabinschrift Wörter mit negativer Konnotation oder Bedeutung zu wählen.

 

Kleine Randbemerkung

Ich treffe naheliegender Weise ziemlich häufig auf Menschen (vor allem in einschlägigen Internetforen), die für hebräische Grabinschriften entweder Google-Translate oder ein Tool der künstlichen Intelligenz verwenden und “selbstverständlich” davon ausgehen, dass die so gelieferte Übersetzung auch korrekt ist. Die Beharrung darauf nimmt gar nicht so selten skurrile Formen an, vor allem, weil sie meist der von ihnen generierten Lösung vertrauen und nicht meiner Übersetzung.

Nun habe ich testweise die Zeile 4 unserer hebräischen Grabinschrift durch mehrere Online-Tools gejagt, hier die Ergebnisse. Die Frage war natürlich jedesmal die gleiche (außer bei Google, wo ich einfach den hebräischen Text eingab):

Bitte übersetze diese Zeile aus einer hebräischen Grabinschrift aus dem Jahr 1834:

Vorausgesetzt dabei ist, dass korrekt gelesen wurde, was ich in diesem Fall selbst gemacht habe und nicht der künstlichen Intelligenz überließ.

Meine Übersetzung, für die ich doch erhebliche Zeit benötigte, weil ich die positive Bedeutung des Wortes “aluva” belegen wollte, lautet (so.): “Krone ihres Ehemanns und sanftmütig” (wir können auch “demütig” oder “bescheiden” übersetzen).

Was aber übersetzen die diversen Online-Tools:

  • Aria (Opera): “Die Krone ihres Mannes und traurig”.
  • Gemini (Google): “Die Krone seines Mannes, die nun betrauert wird”.
  • ChatGPT (OpenAI): “Die Krone ihres Ehemanns und die Bedauernswerte” mit der Zusatzerklärung: “Die Inschrift drückt also aus, dass die Frau als ‘Krone’ (Ehre) ihres Ehemanns angesehen wurde und nun als bedauernswerte Witwe zurückgelassen wurde.
  • Google-Translate: “Du hast ihren Mann und ihre Frau gekrönt”.

Ich denke, jeder Kommentar dazu erübrigt sich.

 

Biografische Notizen

Minka Taubenmeinsterl?, geb. ca. 1764 in Kobersdorf, gest. 10. Nisan 594 = Schabbat, 19. April 1834 mit 70 Jahren an Lungenentzündung, begraben am 20. April 1834 am jüdischen Friedhof Kobersdorf

Eintrag Sterbebuch Kobersdorf, Minko (sic!) Taubenmeinsterl (sic!), 19. April 1834
Eintrag Sterbebuch Kobersdorf, Minko (sic!) Taubenmeinsterl (sic!), 19. April 1834

 

Ehemann: Mose Löb N.N., weiland

 

Personenregister jüdischer Friedhof Kobersdorf

 

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