Ganz leicht war es nicht, aber es war ein ganz wunderbarer Vormittag am jüdischen Friedhof Kobersdorf. Die an der Friedhofsmauer leider vor einigen Jahren aufgeschlichteten Grabsteine und Grabsteinfragmente sollten entlang der Mauer aufgestellt werden, dass die Inschriften lesbar sind.
Gestern begann die schwere Arbeit, heute wurde sie fortgesetzt und beendet.
Das war/ist aus mehreren Gründen extrem wichtig:
- Nach der “Pikuach Nefesch”, der “Rettung aus Lebensgefahr”, ist die wichtigste Mitzwa die “Kavod Hamet”, die “Achtung der Würde des Toten” und dazu gehört es, die Gräber der Toten zu kennen. Alle betroffenen Grabsteine und Grabsteinfragmente tragen Nummernplättchen, mit deren Hilfe auf einem Plan die ursprünglichen Standorte der Grabsteine festgestellt werden kann.
Nur sind auf diesem Plan die Nummern nicht mit Namen hinterlegt, sodass die Gräber auch nicht gefunden werden können. - Auch der jüdische Friedhof von Kobersdorf wird von sehr vielen Nachkommen der ehemaligen jüdischen Gemeinde des Ortes besucht. Die Menschen kommen heute fast ausschließlich aus Übersee, vorwiegend aus Israel und aus den USA und suchen die Gräber ihrer Verwandten. Die Namen der Toten möchte ich möglichst rasch aufarbeiten, sodass alle die Möglichkeit haben, die Gräber ihrer Verwandten zu finden. Vor allem aber ist es eine Mitzwa, die Namen der Toten in den Grabinschriften lesbar zu erhalten. Oft werden zumindest Name und Sterbedatum nachgezogen, dass sie lesbar bleiben.
Die hier aufgeschlichteten Grabsteine und Grabsteinfragmente waren aber dem Vergessen anheim gegeben. Ab nun können die Inschriften, sofern noch möglich, wieder gelesen und den Toten ihre Namen zurückgegeben werden. - Es bestand der Hauch einer Chance, dass sich der untere (noch fehlende) Teil des bedeutenden Genisa-Grabsteinfragments unter den aufgeschlichteten Fragmenten befindet. Eine Hoffnung, die sich leider nicht erfüllt hat.
Und so machten wir uns zu viert (ich half möglichst mit) an die Arbeit und schafften das fast Unmögliche ohne Kran und schwere Maschinen, sondern nur mit einer simplen Stapelkarre, den bloßen Händen, viel Körperkraft und enormem Einsatz.
Dass das ganze überhaupt möglich war, verdanke ich Frau Eva Schwarzmayer und Herrn Horst Horvath.
Im Rahmen des Projekts Erinnerungszeichen führen seit 2010 von Arbeitslosigkeit betroffene Männer Pflegemaßnahmen auf den jüdischen Friedhöfen des Burgenlandes durch. Diese Initiative wird im Auftrag des Landes Burgenland und der IKG Wien über den Verein Refugius in Zusammenarbeit mit Trendwerk gemeinnützige GesmbH und dem AMS durchgeführt.
Die Namen unserer engagierten Mitarbeiter: Albert Heinzl, Thomas Mozelt, Hermann Strommer und Johann Szinovatz.
Eva Schwarzmayer
Bei diesen vier Herren bedanke ich mich ganz besonders für ihren großen Einsatz, aber auch für die netten Gespräche während der manuell schweren Arbeit und überhaupt für die super Zusammenarbeit! Es ist mir ein Bedürfnis noch anzumerken, dass die vier Herren die Arbeit nicht nur als schnöde Auftragsarbeit verrichteten, sondern dass sie den Grund dieses Einsatzes vollkommen verstanden, wohl im Unterschied zu jenen Entscheidungsträgern, die die Aufschlichtung der Grabsteine während der Renovierungsphase zu verantworten haben. Die vier Herren trugen jedenfalls die Entscheidung, die Grabsteine und Grabsteinfragmente so zu stellen, dass die Inschriften lesbar sind, persönlich und mit Überzeugung mit.
Jetzt bin dann ich an der Reihe mit der Puzzelarbeit an den vielen kleinen Grabsteinfragmenten und mit der Transkription der vielen lesbaren Inschriften. Ich freue mich auf diese Arbeit.
Umso mehr, als ich schon beim Aufstellen einiges entdeckt habe, abgesehen davon, dass mich faszinierte, wie viele der Inschriften noch deutlich und klar zu lesen sind:
Zum Beispiel das Mädchen, das im Herbst 1841 starb und das den exakt gleichen Grabstein hat wie seine etwas mehr als 5 Jahre später verstorbene Schwester. Beide Grabsteine haben den Ouroboros (die Ewigkeitsschlange) oben im Giebel (sonst ist dieser immer am Fuß der Inschrift) und diese umschlingt ein Blümchen. Die lieblichen Kinder mögen geschützt sein.
Oder zumindest zwei Grabsteine, deren Inschriften noch vollständig lesbar sind und die die beiden bisher ältesten Grabsteine sind, die ich am Friedhof gefunden habe, nämlich aus dem Jahr 1782.
Und schließlich einige Grabsteine, die ganz eindeutig zu jener Familie Holzer gehören, die erst vor wenigen Wochen aus den USA nach Österreich gereist sind und mit denen ich am jüdischen Friedhof Kobersdorf mehrere Gräber ihrer Familie finden konnte.
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