Symbole auf jüdischen Grabsteinen II ‒ Der Tränenbaum
Ist die Trauerweide überhaupt eine Trauerweide?
Vor einigen Wochen, am 24. Juli 2023, erschien auf der Website und auf der YouTube-Site von Jewish Heritage Europe ein Video über die Trauerweide als Symbol auf jüdischen Friedhöfen. Im einleitenden Text heißt es:
Mit ihren herabhängenden Zweigen, die Trauer symbolisieren, war die Trauerweide vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein häufiges Motiv auf jüdischen und nichtjüdischen Grabsteinen. In diesem Video zeigen wir Beispiele der Trauerweide, wie sie bei Gedenkfeiern und auf jüdischen Grabsteinen verwendet wird. Einige Darstellungen sind einfach, einige sehr aufwendig und repräsentativ für verschiedene künstlerische Stile.
Im sehr schönen Video finden Sie viele weitere Bildbeispiele für das Symbol des Tränenbaumes, unter anderem auch das berühmte Schoa-Denkmal in Budapest, das einer Trauerweide nachempfunden ist.
Ja, die Trauerweide wurde als Symbol der Trauer auch von der nichtjüdischen Umgebung übernommen. Aber darüber hinaus gibt es doch noch eine eindeutige jüdische Assoziation.
Die zentrale Bibelstelle zur Darstellung eines Baumes, oft einer Trauerweide, als Symbol auf jüdischen Grabsteinen, ist Genesis 35,8.
Der Kontext: Jakob, der Sohn von Isaak und Rebekka sowie Enkel von Abraham, kehrt nach Bet-El zurück, jenem Ort 17 km nördlich von Jerusalem, in dem er während seiner Flucht vor seinem Bruder Esau übernachtet hatte und im Traum die als Jakobsleiter bekannte Leiter sah (siehe Genesis 28,16).
וַתָּ֤מׇת דְּבֹרָה֙ מֵינֶ֣קֶת רִבְקָ֔ה וַתִּקָּבֵ֛ר מִתַּ֥חַת לְבֵֽית־אֵ֖ל תַּ֣חַת הָֽאַלּ֑וֹן וַיִּקְרָ֥א שְׁמ֖וֹ אַלּ֥וֹן בָּכֽוּת׃
Debora, Rebekkas Amme, starb und ward unterhalb Bet-Els unter einer Eiche begraben; deshalb gab er (Jakob) ihr den Namen Träneneiche (“alon bachut”).[1]
Genesis 35,8
Am älteren jüdischen Friedhof von Eisenstadt finden wir gleich zwei Grabsteine, auf denen einmal links und rechts vom Baumsymbol und einen Grabstein, bei dem über dem Symbol die Worte אלון בכות “alon bachut” stehen, am jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt und am jüdischen Friedhof Lackenbach finden wir je einen Grabstein mit den beiden Wörtern links und rechts vom Baum.
Die jüdische Assoziation des Symbols Baum ist damit jedenfalls klar: es handelt sich um den Tränenbaum, unter dem Debora, die Amme der Rebekka, begraben wurde.
Die gängige Übersetzung für “alon bachut” ist “Träneneiche”, die griechische Bibelübersetzung, die Septuaginta (LXX), übersetzt “Trauereiche” (“Βάλανος πένθους”).[2]
Das hebräische Wort אַלּ֥וֹן bedeutet ursprünglich einen kräftigen Baum.
Ganz anders Raschi: zur Stelle תַּ֣חַת הָֽאַלּ֑וֹן, die wir oben mit “unter einer Eiche” übersetzt haben, kommentiert er, dass mit “alon” die Ebene von Bet-El gemeint ist:
תחת האלון. בְּשִׁפּוּלֵי מֵישְׁרָא, שֶׁהָיָה מִישׁוֹר מִלְמַעְלָה בְּשִׁפּוּעַ הָהָר וְהַקְּבוּרָה מִלְּמַטָּה, וּמִישׁוֹר שֶׁל בֵּית …אֵל הָיוּ קוֹרִין לוֹ אַלּוֹן. וְאַגָּדָה, נִתְבַּשֵּׂר שָׁם בְּאֵבֶל שֵׁנִי, שֶׁהֻגַּד לוֹ עַל אִמּוֹ שֶׁמֵּתָה (בראשית רבה), וְאַלּוֹן בִּלְשׁוֹן יְוָנִי אַחֵר…
Unterhalb der Ebene תחת האלון, am unteren Saume der Ebene; es war eine Ebene in der Höhe auf dem Abhang des Berges, und das Grab war unten; die Ebene von Bet-El nannte man אלון. Die Aggada sagt, dort erhielt er die Nachricht noch von einer anderen Trauer; es wurde ihm nämlich berichtet, dass seine Mutter gestorben sei (Bereschit Rabbah 81:5), אלון bedeutet im Griechischen “ein anderes”: ἄλλον…[3]
Im Wesentlichen stellen sich für unseren Zusammenhang vor allem drei Fragen:
- Was hat es mit diesem “Tränenbaum” auf sich?
- Wer ist nun diese Debora, die in Genesis 35 das erste Mal namentlich genannt wird?
- Ist das Begräbnis der Debora unter einem Baum, dem “Tränenbaum”, ein Einzelfall?
Über den Tränenbaum
Im biblischen Buch Richter 4,4-5 lesen wir noch über einen anderen Baum, unter dem auch eine Debora saß:
וּדְבוֹרָה֙ אִשָּׁ֣ה נְבִיאָ֔ה אֵ֖שֶׁת לַפִּיד֑וֹת הִ֛יא שֹׁפְטָ֥ה אֶת־יִשְׂרָאֵ֖ל בָּעֵ֥ת הַהִֽיא׃
וְ֠הִ֠יא יוֹשֶׁ֨בֶת תַּחַת־תֹּ֜מֶר דְּבוֹרָ֗ה בֵּ֧ין הָרָמָ֛ה וּבֵ֥ין בֵּֽית־אֵ֖ל בְּהַ֣ר אֶפְרָ֑יִם וַיַּעֲל֥וּ אֵלֶ֛יהָ בְּנֵ֥י יִשְׂרָאֵ֖ל לַמִּשְׁפָּֽט׃
Zu der Zeit war Richterin in Israel die Prophetin Debora, die Frau Lappidots. Sie hatte ihren Sitz unter der Palme Deboras zwischen Rama und Bet-El auf dem Gebirge Ephraim. Und die Israeliten kamen zu ihr hinauf zum Gericht.
Naheliegend, dass die beiden Bäume, also jener aus Genesis 35 und jener aus Richter 4, immer wieder miteinander in Verbindung gebracht wurden[4], beweisen lässt sich das aber nicht, auch die geografische Entfernung der beiden Bäume ist erheblich.
Außerdem berichtet das Buch Richter auch von einem Ort, der “Bochim” (“Weinende”) genannt wird und zu dem nach Richter 2,1a der Engel des Herrn heraufkam.
וַיַּ֧עַל מַלְאַךְ־יְהֹוָ֛ה מִן־הַגִּלְגָּ֖ל אֶל־הַבֹּכִ֑ים
Ein Bote des Herrn kam von Gilgal nach Bochim.
Die Vermutung, dass es sich dabei um denselben Ort wie jenem der Träneneiche handelt, liegt nahe. Auch die Septuaginta ist hier sehr eindeutig und ergänzt in Richter 2,1 sogar die Örtlichkeit Bochim mit dem Ort Bet-El:
Καὶ ἀνέβη ἄγγελος Κυρίου ἀπὸ Γαλγὰλ ἐπὶ τὸν Κλαυθμῶνα καὶ ἐπὶ Βαιθὴλ… “Ein Engel des Herrn stieg von Gilgal nach Bochim und nach Bet-El auf…”.
Dalman vermutet, dass die vollständige Bezeichnung der Stätte “allon bochim” war.[5]
Wenn also unsere Träneneiche und die Ortsangabe Bochim dieselbe Örtlichkeit sind, muss das ein Platz gewesen sein, an dem die Israeliten weinten, trauerten und Opfer darbrachten.
Über Rebekka
Wir wissen von Genesis 24,59, dass Rebekka eine Amme hatte:
וַֽיְשַׁלְּח֛וּ אֶת־רִבְקָ֥ה אֲחֹתָ֖ם וְאֶת־מֵנִקְתָּ֑הּ וְאֶת־עֶ֥בֶד אַבְרָהָ֖ם וְאֶת־אֲנָשָֽׁיו׃
Da ließen sie ihre Schwester Rebekka und ihre Amme mit dem Knecht Abrahams und seinen Leuten ziehen.
Ihren Namen, nämlich Debora, erfahren wir aber erst in Genesis 35, wenn sie stirbt und unter der Träneneiche begraben wird.
Das hebräische Wort, das für “Dienerin” verwendet wird, ist מֵינֶקֶת “menéket”, dasselbe Wort, das auch in Exodus 2,7 auftaucht im Zusammenhang mit dem Mosesbaby:
וַתֹּ֣אמֶר אֲחֹתוֹ֮ אֶל־בַּת־פַּרְעֹה֒ הַאֵלֵ֗ךְ וְקָרָ֤אתִי לָךְ֙ אִשָּׁ֣ה מֵינֶ֔קֶת מִ֖ן הָעִבְרִיֹּ֑ת וְתֵינִ֥ק לָ֖ךְ אֶת־הַיָּֽלֶד׃
Da sagte seine Schwester zur Tochter des Pharao: Soll ich zu den Hebräerinnen gehen und dir eine Amme rufen, damit sie dir das Kind stillt?
Nur, Rebekka, die keine junge Frau mehr war, brauchte mit Sicherheit keine Amme, also muss die Dienerin außer Rebekka zu begleiten noch andere Aufgaben gehabt haben wie der Begräbnisplatz nahelegt.
Kurz erwähnt sei, dass das professionelle Trauern und Klagen eine lange Tradition im Nahen Osten hatte, wobei es sich in der Mehrheit der belegten Fälle um Frauen handelte. Mit anderen Worten: die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass Debora damals bereits eine professionelle Klagefrau war.
Wir haben dafür nicht nur in der Keilschriftliteratur genügend Belege, sondern auch in der Bibel, etwa Ezechiel 8,14:
וַיָּבֵ֣א אֹתִ֗י אֶל־פֶּ֙תַח֙ שַׁ֣עַר בֵּית־יְהֹוָ֔ה אֲשֶׁ֖ר אֶל־הַצָּפ֑וֹנָה וְהִנֵּה־שָׁם֙ הַנָּשִׁ֣ים יֹשְׁב֔וֹת מְבַכּ֖וֹת אֶת־הַתַּמּֽוּז׃
Und er führte mich zum Eingang des Tores am Hause des HERRN, das gegen Norden liegt, und siehe, dort saßen Frauen, die den Tammus beweinten.[6]
Über das Begräbnis unter einem Baum
In der Bibel finden wir öfter Begräbnisse unter einem Baum, offenbar ein uralter Brauch, etwa 1 Samuel 31,11-13:
וַיִּשְׁמְע֣וּ אֵלָ֔יו יֹשְׁבֵ֖י יָבֵ֣ישׁ גִּלְעָ֑ד אֵ֛ת אֲשֶׁר־עָשׂ֥וּ פְלִשְׁתִּ֖ים לְשָׁאֽוּל׃
וַיָּק֜וּמוּ כׇּל־אִ֣ישׁ חַ֘יִל֮ וַיֵּלְכ֣וּ כׇל־הַלַּ֒יְלָה֒ וַיִּקְח֞וּ אֶת־גְּוִיַּ֣ת שָׁא֗וּל וְאֵת֙ גְּוִיֹּ֣ת בָּנָ֔יו מֵחוֹמַ֖ת בֵּ֣ית שָׁ֑ן וַיָּבֹ֣אוּ יָבֵ֔שָׁה וַיִּשְׂרְפ֥וּ אֹתָ֖ם שָֽׁם׃
וַיִּקְחוּ֙ אֶת־עַצְמֹ֣תֵיהֶ֔ם וַיִּקְבְּר֥וּ תַחַת־הָאֶ֖שֶׁל בְּיָבֵ֑שָׁה וַיָּצֻ֖מוּ שִׁבְעַ֥ת יָמִֽים׃
Als die Leute von Jabesch in Gilead hörten, was die Philister Saul angetan hatten, machten sich alle streitbaren Männer auf und gingen die ganze Nacht hindurch und nahmen die Leichname Sauls und seiner Söhne von der Mauer zu Bet-Schean und brachten sie nach Jabesch und verbrannten sie dort. Und sie nahmen ihre Gebeine und begruben sie unter dem Tamariskenbaum zu Jabesch und fasteten sieben Tage.
Auch in Genesis 35 ist das Begräbnis der Debora nicht das einzige Begräbnis unter einem Baum, denn in Vers 4 lesen wir über die fremden Götter, die unter einer Terebinthe begaben werden.
וַיִּתְּנ֣וּ אֶֽל־יַעֲקֹ֗ב אֵ֣ת כׇּל־אֱלֹהֵ֤י הַנֵּכָר֙ אֲשֶׁ֣ר בְּיָדָ֔ם וְאֶת־הַנְּזָמִ֖ים אֲשֶׁ֣ר בְּאׇזְנֵיהֶ֑ם וַיִּטְמֹ֤ן אֹתָם֙ יַעֲקֹ֔ב תַּ֥חַת הָאֵלָ֖ה אֲשֶׁ֥ר עִם־שְׁכֶֽם׃
Sie übergaben Jakob alle fremden Götter, die sie in ihren Händen hatten, und die Ringe an ihren Ohren. Jakob vergrub sie unter der Terebinthe bei Sichem.
Nur am Rande sei angemerkt, dass in Vers 4, beim Begräbnis der fremden Götter, das hebräische Wort טמן “verstecken, verbergen v.a. in der Erde”, in Vers 8, beim Begräbnis der Debora, das hebräische Wort קבר “begraben” verwendet wird.
Zweifelsohne diente das Begräbnis der Debora unter einem Baum zum einen der Erinnerung an die Tote, zum anderen aber auch als ein symbolischer Akt, der das Gedächtnis der Toten aufrecht erhalten sollte.
Und einige Verse später, als Rachel, die Lieblingsfrau von Jakob, starb, gab es das nächste und dritte Begräbnis in Genesis 35, allerdings diesmal nicht unter einem Baum, sondern unter einem Steinmal (Genesis 35,19-20):
וַתָּ֖מׇת רָחֵ֑ל וַתִּקָּבֵר֙ בְּדֶ֣רֶךְ אֶפְרָ֔תָה הִ֖וא בֵּ֥ית לָֽחֶם׃
וַיַּצֵּ֧ב יַעֲקֹ֛ב מַצֵּבָ֖ה עַל־קְבֻרָתָ֑הּ הִ֛וא מַצֶּ֥בֶת קְבֻֽרַת־רָחֵ֖ל עַד־הַיּֽוֹם׃
Als Rachel gestorben war, begrub man sie an der Straße nach Efrata, das jetzt Betlehem heißt. 20 Jakob errichtete ein Steinmal über ihrem Grab. Das ist bis heute das Grabmal Rahels.
Es bleibt unklar, ob damit ausgesagt werden soll, dass ein Begräbnis unter einem Baum die weniger wünschenswertere Begräbnisvariante ist oder ob im Falle des Begräbnisses von Rachel schlicht kein Baum zur Verfügung stand.
Zusammenfassend halten wir fest: Debora, Rebekkas Dienerin, war mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit eine professionelle Klagefrau. Daher ist der Name des Baumes, unter dem sie begraben wird, auch “Tränenbaum”. Obwohl sie sozusagen Teil der Familie war, durften nur die Patriarchen selbst in den Familiengräbern, in der Höhle von Machpela, bestattet werden. Der niedrigere soziale Status von Rebekka verlangte ein ganz normales Begräbnis.[7]
Der Tränenbaum über einem ‘Häuschen’?
Ein mich ausgesprochen faszinierender Tränenbaum befindet sich auf dem Grabstein von Dr. Leopold Mayer, gest. 10. April 1866, auf dem jüdischen Friedhof Lackenbach.
Wir sehen den Tränenbaum (Genesis 35,8) und unter dem Baum befindet sich eine Art stilisierter Tempel, in dem sich die abbreviierte hebräische Einleitungsformel der hebräischen Grabinschrift befindet: “Hier ist begraben”.
Was bedeutet nun dieses “Häuschen” unter dem Baum? Meines Erachtens gibt es dafür zwei mögliche Erklärungen:
1) Es handelt sich um eine bildliche Verschmelzung der Verse Genesis 35, 7 und 8. In Vers 7 heißt es: “Er (Jakob) baute dort einen Altar und nannte die Stätte Gott von Bet-El; denn auf der Flucht vor seinem Bruder hatte Gott sich ihm dort offenbart.” Danach folgt der uns bekannte Vers 8, dass Debora, die Amme Rebekkas, starb.
2) Da ein Begräbnis “unter dem Baum” nicht wirklich möglich ist, sondern nur unter der Krone des Baumes, könnte das Grab der Debora dargestellt sein, das dann allerdings schon sehr respektabel ausfallen würde. Vielleicht ist Raschi, s.o., im Hintergrund, denn der große Kommentator spricht expressis verbis von einem Grab am unteren Ende des Saumes der Ebene. Für Raschi gibt es keinen Baum, unter dem Debora begraben wurde. Auf diesen hätte man dann aber in der Darstellung halt nicht verzichten wollen.
Für die Erklärung 1 spricht, dass wir näher am Bibeltext sind, für die Erklärung 2 spricht die integrierte Einleitungsformel, die natürlich zum Grab besser passt als zum Altar, den Jakob baut.
Ich neige ein klein wenig mehr zu Erklärung 2, dass nämlich das “Häuschen” das Grab der Debora zeigen soll.
Sollte Erklärung 2 tatsächlich zutreffen, hätten wir hier die ikonografische Version der beiden Wörter “alon bachut” neben oder oberhalb des Baumsymboles, wie wir es oben in Eisenstadt und Lackenbach gesehen haben.
Zwei besonders schöne Tränenbäume
Gefunden habe ich diese beiden Bäume am kleinen jüdischen Friedhof in San Daniele del Friuli in der Region Friaul-Julisch Venetien.
Der älteste Beleg für Juden im Ort ist aus dem Jahr 1523, die Toten wurden lange am nur 22km entfernten jüdischen Friedhof von Udine begraben. Als jedoch dieser Friedhof nicht mehr genügend Platz hatte, um alle Toten aus der Umgebung aufzunehmen, beantragte die jüdische Gemeinde von San Daniele 1733 beim Rat die Errichtung eines eigenen Friedhofes. Dieser existiert noch immer und liegt mitten auf dem Land, in der Nähe des Baches Ripudio, östlich des Ragogna-Sees, in einer Gegend, die als “la Merenda” (das Jausenbrot) bekannt ist, weil man hier gerne eine Rast einlegte. Der älteste Grabstein von Ester di Baruch Luzzatto ist vom 19. März 1742, der jüngste Grabstein aus dem Jahr 2007.
Conclusio
Das Symbol der Trauerweide bzw. des Tränenbaums finden wir sowohl auf Grabsteinen von Frauen als auch auf Grabsteinen von Männern. Der Form des Baumes sind dabei keine künstlerischen Grenzen gesetzt wie auch die Bildbeispiele oben zeigen.
Dass in unseren Breiten häufig eine Trauerweide (und keine Eiche etwa, s. biblische Übersetzungen) dargestellt wird, hat sicher damit zu tun, dass das Symbol der Trauerweide als Trauersymbol auch von der (nichtjüdischen) Umgebung übernommen wurde. Dennoch ist die jüdische Assoziation glasklar. Es ist Genesis 35, Vers 8, also das Begräbnis der Debora, der Amme von Jakobs Mutter Rebekka, unter dem “Tränenbaum”.[8]
Der geknickte bzw. abgebrochene Baum
Nicht zu verwechseln ist der “Tränenbaum” mit dem geknickten bzw. abgebrochenen Baum, der für einen frühen Tod steht und eindeutig ein nichtjüdisches Symbol ist, das wir auch auf jüdischen Grabsteinen finden.
Fußnoten
[1] Buber-Rosenzweig: “Debora, die Amme Ribkas, starb, sie wurde begraben unterhalb von Bet-El, unter der Steineiche, und die nannte man Steineiche des Weinens.”; Luther: “Da starb Debora, die Amme der Rebekka, und wurde begraben unterhalb von Bethel unter der Eiche; die wurde genannt die Klageeiche.” [Zurück zum Text (1)]
[2] Für Dalman handelt es sich um einen heiligen Baum, die Stelle übersetzt er mit “Klageeiche”, siehe Gustaf Dalman, Einige geschichtliche Stätten im Norden Jerusalems, in: Journal of Biblical Literature, Vol. 48, No. 2/4 (1929), 358. [Zurück zum Text (2)]
[3] Sehr ähnlich auch der Targum Onkelos (Übersetzung der Tora aus dem Hebräischen ins Aramäische): וּמִיתַת דְּבוֹרָה מֵנִקְתָּא דְרִבְקָה וְאִתְקְבָרַת מִלְּרַע לְבֵית אֵל בְּשִׁפּוֹלֵי מֵישְׁרָא וּקְרָא שְׁמֵיהּ מֵישַׁר בָּכִיתָא: “Debora, die Amme Rebekkas starb und wurde unterhalb von Bet-El begraben, unter Alon, also in der unteren Ebene. Er nannte sie Alon des Weinens (Ebene des Weinens)”.
Im Midrasch Kohelet (Kohelet Rabba), wahrscheinlich 6. oder 7. Jahrhundert entstanden, Erstdruck 1519, lesen wir, dass ER (der Herr) die Trauernden tröstet, daher der Name “alon bachut”.
מְנַחֵם אֲבֵלִים, דִּכְתִיב (בראשית לה, ח): וַיִּקְרָא שְׁמוֹ אַלּוֹן בָּכוּת.[Zurück zum Text (3)]
[4] Gustaf Dalman, a.a.O., 358f. [Zurück zum Text (4)]
[5] Gustaf Dalman, a.a.O., 359. [Zurück zum Text (5)]
[6] Tammus ist der 10. bürgerliche Monat des jüdischen Kalenders. Ursprünglich war “Tammuz” eine babylonische Gottheit der Frühlingsfruchtbarkeit. [Zurück zum Text (6)]
[7] Shaul Bar, The Oak of Weeping, in: Journal of Biblical Literature, Vol. 91, No. 2, 2010, 269-273. Siehe dort besonders auch die Literaturangaben. [Zurück zum Text (7)]
[8] Der botanische Tränenbaum ist nur die österreichische Bezeichnung der Teufelszunge, die sich aber natürlich überhaupt nicht als Trauersymbol eignet. [Zurück zum Text (8)]
[9] Mehr zu Otto Grünmandl und seinen Bruder Alfred in: Verena Sauermann, Alfred Grünmandl. Ein jüdischer Migrant in Tirol (PDF). Otto Grünmandl, Sohn von Leopold Grünmandl und Betti Fuchs, geb. 09. August 1891 in Uherský Brod (Ungarisch-Brod), Tschechien, war der Bruder von Alfred Grünmandl, mit dem er (wahrscheinlich) 1907 in Hall in Tirol ein Gemischtwarengeschäft eröffnet hatte. Am 2. Jänner 1915 starb Otto im Krankenhaus Hall an Meningitis, begraben wurde er am 4. Jänner am jüdischen Friedhof Westfriedhof in Innsbruck. Beerdigt wurde Otto Grünmandl im Wandgrab 12, umgebettet am 24. Juli 1980 nach Grabfeld II, Grab 12. Otto Grünmandl war nicht konvertiert, sein Bruder Alfred und seine spätere Ehefrau Christine Katzengruber waren am 10. Februar 1914 zum evangelischen Glauben konvertiert. S. v.a. Thomas Albrich (Hrsg.), Judenbichl. Die jüdischen Friedhöfe in Innsbruck, bes. 106, 149.
1. Artikel der kleinen Reihe über Symbole auf jüdischen Grabsteinen: “Der Herr segne und behüte dich. ‒ Die segnenden Priesterhände. Symbole auf jüdischen Grabsteinen I”
3. Artikel der kleinen Reihe über Symbole auf jüdischen Grabsteinen: “Dem Ouroboros auf der Spur. Die Ewigkeitsschlange auf den jüdischen Friedhöfen von Kobersdorf & Lackenbach. Symbole auf jüdischen Grabsteinen III. Symbole auf jüdischen Grabsteinen III.”
4. Artikel der kleinen Reihe über Symbole auf jüdischen Grabsteinen: “Sie streckt ihre Hand nach dem Spinnrocken. Symbole auf jüdischen Grabsteinen IV.”
Danke für den sehr informativen Artikel!
Danke für den überaus interessanten Beitrag und die schönen Bilder!