Symbole auf jüdischen Grabsteinen I ‒ Die segnenden Priesterhände.
Prolog
Der ursprüngliche Artikeltitel “Der Herr segne und behüte dich. Von Mr. Spock bis zur Schlange der Ewigkeit” war der Titel meines kleinen Vortrages in der Langen Nacht der Museen am 1. Oktober 2022 im jüdischen Museum Eisenstadt.
Die Idee zum Thema kam eigentlich zufällig, als ich am jüdischen Friedhof Kobersdorf vor einigen Monaten ein Symbol aktiv wahrnahm, das ich zuvor noch nie auf einem anderen jüdischen Friedhof des Burgenlandes gesehen hatte: Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, der Ouroboros, der auch als “Schlange der Ewigkeit” bekannt ist. Nun galt es einerseits zu verifizieren, ob diese spezielle Form der Schlange nur auf Grabsteinen am jüdischen Friedhof Kobersdorf zu finden ist oder auch auf anderen jüdischen Friedhöfen. Ich darf es vorwegnehmen, so viel sei schon verraten: ja, den Ouroboros gibt es nicht nur in Kobersdorf, aber etwa nicht in Eisenstadt!
Bei der Suche stieß ich allerdings zu meiner großen Verwunderung auf viele andere, vielleicht nicht ganz so spektakuläre, aber sehr schöne Symbole, besonders auf dem älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt: Tiere, Blumen, Namenssymbole usw.
Mit diesem Artikel soll eine kleine Serie beginnen, bei der die Symbole auf jüdischen Grabsteinen, vor allem auf jüdischen Friedhöfen im Burgenland, nicht nur vorgestellt, sondern auf ihre jüdische Tradition hin untersucht werden.
Aber wir beginnen heute sozusagen mit “Adam und Eva”, mit den wohl schon bekannten segnenden Priesterhänden.
Quasi ein PS: Ich gestehe, mich bisher noch nie mit den Symbolen (außer den gängigen genuin jüdischen) intensiver beschäftigt zu haben, was bis zu einem gewissen Grad auch damit zusammenhängt, dass ‒ unterm Strich ‒ einerseits der Befund auf beiden jüdischen Friedhöfen in Eisenstadt relativ dünn ist und andererseits viele der Symbole auf den Grabsteinen heute ohne intensive vorsichtige Bearbeitung praktisch so gut wie nicht zu sehen oder zu erkennen sind.
Segnende Priesterhände
Beim Segen erhebt der Priester seine Hände mit der charakteristischen Fingerhaltung, bei der kleiner Finger und Ringfinger sowie der Daumen von Zeige- und Mittelfinger abgespreizt werden. Damit soll der hebräische Buchstabe ש “SCHIN” assoziiert werden, der Anfangsbuchstabe des Wortes אֵ֣ל שַׁדַּ֔י “(El) Schaddai” (der Allmächtige).
Mini-Exkurs
Der Priestersegen heißt Hebräisch “Birkat Kohanim” oder “Nesijat Kapajim” (wörtl: “Heben der Hände”) und ist unter aschkenasischen Juden auch als “Duchanen” (s. u. das Video mit Leonard Nimoy) bekannt (s. auch “The Mitzvah of “Duchening” – Birchas Kohanim“). (“Duchan” ist das aramäische Wort für die Plattform vor dem Toraschrein, siehe etwa babylonischer Talmud, Traktat Schabbat 118b “וְאָמַר רַבִּי יוֹסֵי: מִיָּמַי לֹא עָבַרְתִּי עַל דִּבְרֵי חֲבֵרַי. יוֹדֵעַ אֲנִי בְּעַצְמִי שֶׁאֵינִי כֹּהֵן, אִם אוֹמְרִים לִי חֲבֵירַי: עֲלֵה לַדּוּכָן — אֲנִי עוֹלֶה. “Ferner sagte R. Jose : Nie im Leben habe ich die Worte meiner Genossen übertreten. Ich selber weiß, dass ich kein Priester bin, trotzdem würde ich die Plattform besteigen, wenn meine Genossen mich dazu auffordern würden.”)
Die segnenden Priesterhände stehen für die Abstammung aus dem aaronidischen Priestergeschlecht. Die Priester, hebräisch Kohanim (Einzahl: Kohen), waren im Tempel für die Opferdarbringung und für das Sprechen des Segens (Priestersegen / Aaronitischer Segen, 4. Buch Mose (Numeri) 6,22-26) zuständig:
[Num 6,22] Der HERR sprach zu Mose: | וַיְדַבֵּ֥ר יְהֹוָ֖ה אֶל־מֹשֶׁ֥ה לֵּאמֹֽר׃ |
[Num 6,23] Sag zu Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr die Israeliten segnen; sprecht zu ihnen: | דַּבֵּ֤ר אֶֽל־אַהֲרֹן֙ וְאֶל־בָּנָ֣יו לֵאמֹ֔ר כֹּ֥ה תְבָרְכ֖וּ אֶת־בְּנֵ֣י יִשְׂרָאֵ֑ל אָמ֖וֹר לָהֶֽם׃ {ס} |
[Num 6,24] Der HERR segne dich und behüte dich. | יְבָרֶכְךָ֥ יְהֹוָ֖ה וְיִשְׁמְרֶֽךָ׃ {ס} |
[Num 6,25] Der HERR lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. | יָאֵ֨ר יְהֹוָ֧ה ׀ פָּנָ֛יו אֵלֶ֖יךָ וִֽיחֻנֶּֽךָּ׃ {ס} |
[Num 6,26] Der HERR wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden. | יִשָּׂ֨א יְהֹוָ֤ה ׀ פָּנָיו֙ אֵלֶ֔יךָ וְיָשֵׂ֥ם לְךָ֖ שָׁלֽוֹם׃ {ס} |
Der 2016 verstorbene Singer-Songwriter, Dichter und Maler Leonard Cohen wurde als Kohen geboren und 1996 zum buddhistischen Mönch ordiniert. Am 24. September 2009, am Ende seines Konzerts in Tel Aviv, spricht er den Priestersegen:
In der hebräischen Bibel wird das dritte Buch Mose (Levitikus; hebr.: Wa-jikra) auch als “Torat haKohanim” (Weisung für die Priester) bezeichnet, weil es in diesem Buch vor allem um die Arbeit der Kohanim im Stiftszelt und später im Jerusalemer Tempel geht. Die Kohanim kommen aus dem Stamm Levi, sind also eine Untergruppe der Leviten.
Aaron, der Bruder des Mose, wurde von diesem zum ersten “Großen Kohen” geweiht, alle späteren Kohanim stammen daher von Aaron ab.
Da die Abstammung über die männliche Linie vererbt wird, findet man das Symbol vor allem auf Grabsteinen von männlichen Angehörigen aus dem Priestergeschlecht, meist mit dem Namen, später dem Beinamen “Kohen”, “Kohn”, “Kahn”, “KaZ” usw. Siehe zum Beispiel Samuel Cohen, gestorben 1791 und am älteren jüdischen Friedhof von Eisenstadt begraben.
כ”ץ “KaZ” ist eine Abkürzung für “Kohen Zedek” “gerechter Priester” wie bei Rabbiner Karl Klein (gestorben 1930 und begraben am jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt), hebräisch: Chaim Akiba KaZ (oder Ka’tz), Zeile 6.
Der Kohen darf sich nicht rituell verunreinigen. So ist es ihm verboten, mit einem toten Körper in Berührung zu kommen oder sich auch nur unter dem selben Dach aufzuhalten, unter dem sich auch ein Leichnam befindet. Der Kohen darf keinen Friedhof betreten, außer er achtet im Freien auf die Distanz von 192cm zum Grab oder zum Sarg. Kohanim werden häufig auch am Rand des jüdischen Friedhofes oder in einer Ecke des Friedhofes begraben, damit sie sich beim Besuch eines Grabes eines oder einer Verwandten nicht verunreinigen. Allerdings muss der Kohen am Begräbnis der nächsten Verwandten (Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Brüder väterlicherseits und nie verheirateten Schwestern väterlicherseits) teilnehmen und sich dabei verunreinigen.

Wenn aus der Tora gelesen wird (also am Schabbat, an Fastentagen oder am Montag und Donnerstag während des Morgengebetes…), werden je nach Anlass fünf, sechs oder sieben Personen zur Tora gerufen. Der erste Aufruf (die erste Alija) gilt immer einem Kohen, der zweite einem Levi. Wenn kein Kohen anwesend ist, wird er durch eine andere Person ersetzt, ist kein Levi anwesend, dann soll er durch den zuvor aufgerufenen Kohen ersetzt werden.
Viele weitere Regelungen, die den Kohen vor allem in Bezug auf die kultische Reinheit betreffen, siehe etwa “Die Reinheit des Kohens“.
Dazu passt eine Geschichte, die uns vom berühmten, wundertätigen und langjährigen Rabbiner der jüdischen Gemeinde Deutschkreutz übermittelt ist: Rabbi Menachem Wannfried KaZ-Prossnitz (geb. 1795, Rabbiner in Deutschkreutz von 1840 bis zu seinem Tod 1891) hatte beim großen Chatam Sofer in Pressburg studiert und galt als dessen gelehrigster Schüler. So wurde er für seine Treue von Chatam Sofer sogar in dessen privaten Studierstube in die Kabbala, die jüdische Mystik, eingeweiht. Als Chatam Sofer am Sterbebett lag, besuchte ihn Rabbi Menachem Prossnitz und wurde vom Grauen gepackt, als er die Hand seines Lehrers ergriff, die sich wie aus Stein anfühlte. Chatam Sofer freute sich über den Besuch und deutete dann dem Rabbi Menachem das Zimmer zu verlassen, denn “ich sterbe”. Rabbi Menachem Prossnitz war ein Kohen und durfte sich daher nicht unter einem Dach mit einem Toten befinden [1].
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt bei 1.100 Grabsteinen nur 8 Grabsteine mit dem Symbol der segnenden Hände befinden.
Am jüngeren jüdischen Friedhof findet sich kein einziges Symbol der segnenden Hände, begraben sind, soviel wir wissen, nur der o.g. Rabbiner Karl Klein KaZ (ohne Symbol) und eine Frau, Rachel Kohn (verheiratet mit einem Kohen) und mit dem Symbol der Trauerweide am Grabstein.
Eine alte, v.a. mündlich überlieferte Geschichte aus dem ehemaligen jüdischen Viertel von Eisenstadt erklärt uns, dass sich vor allem in der neueren Zeit Kohanim nicht in Eisenstadt ansiedeln wollten. Weil sie nicht wussten, wo sich der jüdische Friedhof des mittelalterlichen jüdischen Viertels von Eisenstadt befunden hat. Mit der Nichtansiedelung wollten sie vermeiden, irrtümlich sozusagen Friedhofsgelände zu betreten.
Am Rande nur angemerkt sei, dass der Priestersegen in der Fernsehserie “Star Trek” auch als vulkanischer Gruß bekannt ist. Wie es dazu kam, also die jüdischen Hintergründe, erklärt Leonard Nimoy (Mr. Spock), der selbst zwar in eine orthodoxe jüdische Familie geboren wurde, aber kein Kohen war:
In wenigen Tagen, zu Sukkot (Laubhüttenfest, heuer ab 9. Oktober Abend), wird der Priestersegen in Israel von hunderten Kohanim gesprochen und über Lautsprecher an die Westmauer in Jerusalem übertragen (genauso zu Pesach; siehe etwa den Birkat Kohanim Sukkot 2015).
[1] Siehe v.a. Shlomo Spitzer, Die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz, Wien 1995 [Zurück zum Text (1)]
2. Artikel der kleinen Reihe über Symbole auf jüdischen Grabsteinen: “Deshalb gab er ihr den Namen ‘Träneneiche'”. Symbole auf jüdischen Grabsteinen II.”
3. Artikel der kleinen Reihe über Symbole auf jüdischen Grabsteinen: “Dem Ouroboros auf der Spur. Die Ewigkeitsschlange auf den jüdischen Friedhöfen von Kobersdorf & Lackenbach. Symbole auf jüdischen Grabsteinen III. Symbole auf jüdischen Grabsteinen III.”
4. Artikel der kleinen Reihe über Symbole auf jüdischen Grabsteinen: “Sie streckt ihre Hand nach dem Spinnrocken. Symbole auf jüdischen Grabsteinen IV.”
Gratulation. Informativ und eloquent. Freue mich schon auf Teil 2
Thank you for this extremely well-researched and informative article! It is important to note though that the hands appear only on the gravestones of men.)