Mit der Dokumentation des jüdischen Friedhofes Lackenbach startet das nächste Friedhofsprojekt offiziell.
- Zur Überblicksseite des Projekts “Jüdischer Friedhof Lackenbach“
- Die Grabsteine (The Gravestones) (work in progress)
- Personenregister
Eigentlich hatte ich vor, mit Kobersdorf zügig weiterzumachen (20% der Grabsteine waren bereits online dokumentiert). Da ich aber nach wie vor die Geschehnisse rund um den historisch so extrem wertvollen Genisa-Grabstein nicht nachvollziehen kann (siehe die diesbezügliche Stellungnahme) und die Vorgangsweise vor allem auch nicht akzeptiere, bleiben alle Artikel rund um den jüdischen Friedhof Kobersdorf weiter offline und der Friedhof wird derzeit von mir auch nicht bearbeitet.
Aber, wie es so schön heißt: “Auf Regen folgt Sonnenschein” ‒ und so beginnt auch der jüdische Journalist Otto Abeles den Bericht über seinen Besuch in der jüdischen Gemeinde Lackenbach (s.u.).
Und doch, auch in Lackenbach scheint, bildlich gesprochen, nicht nur die Sonne. Die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zeigen fatale Folgen, ohne dass die Jetztzeit auch nur das geringste Interesse zeigt, effizient gegen das weitere sichtbare Verschwinden der so wertvollen Inschriftendaten vorzugehen. Leidtragende sind vor allem die Nachkommen der Lackenbacher Jüdinnen und Juden. Mehr Informationen und Hintergrunde auf der Überblicksseite “Jüdischer Friedhof Lackenbach“.
Die ehemalige jüdische Gemeinde Lackenbach liegt nur wenige Kilometer von Kobersdorf entfernt.
Lackenbach, wo eine jüdische Ansiedlung schon Mitte des 16. Jahrhunderts belegt ist. Nach der Vertreibung der Juden aus Wien und auch aus Lackenbach 1670, durften die Juden sich 16 Jahre später hier wieder ansiedeln, 1729 zählen wir schon 45 jüdische Familien aus Lackenbach zu den Hausbesitzern, die Zahl der Kinder betrug 171. 1869 lebten 770 Juden in Lackenbach, das waren immerhin 62% der Gesamtbevölkerung, auch 1934 lebten, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen jüdischen Gemeinden, noch 21% Juden in Lackenbach, nämlich 346. Dieser hohe Anteil der Juden nährte die ein wenig scherzhaft gedachte mündliche Überlieferung, dass Lackenbach ausschließlich aus jüdischen Einwohnern bestand.
Einige Wochen nach dem sogenannten Anschluss im März 1938 wurden die meisten Juden auf Lastwagen gepfercht und nach Wien zwangsumgesiedelt. 1942 wurde die riesige Synagoge gesprengt (siehe den Artikel: Die Sprengung der Synagoge von Deutschkreutz), der jüdische Friedhof mit 1747 Grabsteinen ist im Wesentlichen erhalten geblieben.
Das Jesajazitat הָקִ֨יצוּ וְרַנְּנ֜וּ שֹׁכְנֵ֣י עָפָ֗ר wurde gewählt um die Jahresanzahl anzugeben. Leider ist heute nicht mehr klar erkennbar, auf welchen Buchstaben sich Punkte befunden haben, sodass man die Jahreszahl errechnen kann.
Im Februar 1927 kam der 1879 in Brünn (Mähren) geborene Journalist Otto Abeles in die jüdische Gemeinde Lackenbach:
Auf Regen folgt Sonnenschein. Nach den Stunden in der atembeklemmenden dumpfen Enge von Deutschkreutz (Zelem) folgte ein heller Tag im freundlichen Lackenbach… ein überaus herzlicher Empfang beim Lackenbacher Rabbiner Krausz. Ein Greis, dem Gelehrsamkeit…, Frömmigkeit und Duldsamkeit keine disparaten Begriffe sind.
Die Stube gibt diesem edlen, schlichten und sehr vornehmen Antlitz die Folie. Ragende Regale, mit alten gewichtigen Büchern gefüllt, alles wohl geordnet und gut gehalten. Trotz häufigen Gebrauchs. Denn dass hier die Lehre durchgepflügt wird, inbrünstig und in Weltabgeschiedenheit, alle die 25 Jahre hindurch, die der Rabbi von Lackenbach seine Gemeinde führt, bezeugt der mächtige Tisch, glatt gescheuert von den ledernen Einbänden der Folianten, die auch jetzt vor ihm aufgeschlagen sind, weit über die Tischplatte hin.
…Draußen, am guten Ort, der neben den uralten kleinen Steinen auch schon Nobelgrüste à la Döblinger Friedhof, aufweist, liegt der Sohn des Maharam Asch Eisenstadt, Rabbi Benjamin Asch, der das Rabbinat von Lackenbach und Kobersdorf innehatte und hier geliebt, geehrt war, wie sein größerer Eisenstädter Vater. Ihm folgte durch drei Rabbinergenerationen die Ullmannsche Dynastie. Den hundertsten Todestag des Stammvaters, der den Beinamen Chariv (der Scharfsinnige) führte, und eine Leuchte in Israel war, hat man zu Lackenbach im Vorjahr gefeiert. Reb Scholem Chariv soll auch körperlich ein Riese gewesen sein und einst einen Bären erwürgt haben. Sein Urenkel erzählt mir von seinen berühmten Ahnen, während er im Gewölbe die Kundschaft bedient…
Abeles Otto, Das freundliche Lakenbach, in: Wiener Morgenzeitung vom 16. Februar 1927, 4.
Rabbi Benjamin Asch, der Sohn des berühmten Eisenstädter Rabbiners MaHaRaM Asch, starb am 11. April 1770.
Unmittelbar nach Rabbi Benjamin Asch, dem Sohn des berühmten Eisenstädter Rabbiners MaHaRaM Asch, folgten aber nicht die drei Rabbinergenerationen Ullmann, wie Abeles schreibt, sondern es folgte zunächst Rabbi Schlomo Salman Lipschütz. In diesen Tagen ereignete sich eine abscheuliche Tat am jüdischen Friedhof Lackenbach:
Ein nichtjüdischer Friedhofsdiener hatte wiederholt die auf dem jüdischen Friedhofe bestatteten Leichen ihrer Totenkleider beraubt und diese veräußert. Als er eines Tages ein Kinderhemd verkaufen wollte, schöpfte man Verdacht und er wurde zur Rede gestellt. Da bekannte er, dieses Hemd und noch viele andere aus den Gräbern entwendet zu haben. Es wurde beim Fürsten Esterházy Anzeige erstattet und das Schlossgericht ordnete an, den Leichenschänder zu verhaften. Dann wurde er auf den Friedhof geführt und hier einem strengen Verhör unterzogen. In Gegenwart des Rabbi Lipschütz und in Anwesenheit der vornehmsten Gemeindemitglieder wurden die beraubten Leichen mit neuen Totenkleidern versehen. Der Verbrecher bezeichnete die einzelnen Gräber, die er geschändet hatte, erklärte aber auch, dass er manche Leiche unberührt ließ, da in dem Augenblick, da er seine Hand gegen die Leiche ausstrecken wollte, zurückgestoßen wurde und zur Erde gestürzt sein, und so stundenlang ohnmächtig gelegen habe. So sei es ihm ergangen, als er einen jüngst verstorbenen Mann seiner Totenkleider berauben wollte. Derselbe habe mit eiserner Gewalt seine Kleider festgehalten. Die Behörde verurteilte den Räuber zum Tode.
Rabbiner Adonijahu Krauss (Jerusalem), Geschichte der Juden in Lackenbach, in: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes, Tel-Aviv 1970, 88f
Rabbi Lipschütz gründete eine Jeschiva und Lackenbach wurde unter ihm zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit. Obwohl ihm große Gelehrsamkeit nachgesagt wird, hinterließ er nichts Schriftliches. Rabbi Lipschütz starb 1808 und ist schräg gegenüber von seinem Vorgänger Rabbi Benjamin Asch begraben. Das Todesdatum von Rabbi Lipschütz ist eindeutig, es ist der 5. Siwan 568 = Montag Abend, 30. Mai 1808.
Über sein Todesdatum finden wir widersprüchliche Angaben[1], obwohl es in der hebräischen Grabinschrift klar zu erkennen ist (Zeilen 3-5):
[3] Seine Seele ging hinweg am Tag 2 (= Montag), 5. Siwan. | י”נ ביום ב ה” סיון |
[4] In seinem Leben war Hoffnung, | בחייו יש סבר, |
[5] in seinem Tod “und das ist der Zusammenbruch”[2] nach der kleinen Zeitrechnung (= 568 = Montag Abend, 30. Mai 1808)[3]. | ובמותו והנה שבר לפק |
Rabbi Lipschütz lebte und wirkte segensreich in Lackenbach ungefähr 25 Jahre. Im Jahre 1809 kam Rabbi Scholem Ullmann… Der Sage nach wollte die Gemeinde ihn nicht als Rabbiner akzeptieren. Reb Scholem Chariv versicherte doch den Gemeindemitgliedern, dass wenn sie ihn als Rabbiner bestätigen, so würden sie alle ein hohes Alter erreichen und tatsächlich haben alle jene Baale Batim (Hausbesitzer) ein ungeheuer hohes Alter erreicht.
Mit ihm beginnt eine Glanzperiode der Gemeinde Lackenbach. Er war einer der Größten in einer an Größen nicht armen Zeit, wenn auch die Geschichte weniger über ihn zu erzählen weiß, als über seine Zeitgenossen. Schon der Umstand, dass der Gaon von Lackenbach den Titel eines Chariv erhielt, der nur wenigen ganz besonders scharfsinnigen Forschern auf dem Gebiete des Talmuds zuerkannt wird, weist am sichersten auf seine Bedeutung…
Er wurde in Fürth im Jahre 1755 geboren … Durch ein Gotteswunder ist einmal von den französischen Soldaten, die ihn gefangen genommen hatten, gerettet worden. Mit eisernem Szepter, aber segensreich, wirkte er in Lackenbach 17 Jahre… Einige Jahre vor seinem Hinscheiden sprach unser Rabbi überhaupt wenig, er vermied jedes unnötige Wort, es gab Monate, in denen er überhaupt nicht außer Toraworte sprach. Vier Wochen vor seinem Weggang aus dieser Welt schrieb er seinem Sohne Abraham, er sei bereits sehr beschäftigt mit der Vorbereitung des Gerichtes bei Gott dem Allmächtigen und könne daher ihm nicht viel schreiben. Am 16. Tage im Monat Adar 5585 (= 06. März 1825), am Tage seines 70. Geburtstages, hat ein tatenreiches Leben sein Ende erreicht. An diesem Tage hat unser Rabbi seine Augen für immer geschlossen. Wie ein Heilger hat er gelebt und wie ein Heiliger ist er gestorben…
Krauss Adonijahu, Lackenbach. Eine kultur-historische Skizze einer jüdischen Gemeinde. Jerusalem 1963, S. 5-8; 25-31; 44-52; 64-69
Der zitierte Autor Adonijahu Krauss wurde 1902 als Sohn des Rabbiners Jehuda Cohen Krauss geboren, der in diesem Jahr das Rabbineramt in Lackenbach als Nachfolger des Enkels von Scholem Ullmann, Rabbiner David Ullmann, angetreten hatte. Adonijahu Krauss emigrierte Anfang der 1930er Jahre nach Jerusalem, sein Vater folgte nach 32 Jahren erfolgreichen Wirkens in Lackenbach im Jahre 1935 nach und starb 1939 in Jerusalem. Nach 1945 war Krauss Rabbiner in Regensburg und München und kehrte im Alter wieder nach Israel zurück, wo er 1987 verstarb.
Eine letzte Anekdote, die Adonijahu Krauss in seinen Erinnerungen erzählt:
Das Verhältnis zu den Nichtjuden Lackenbachs war im Großen und Ganzen gut. Als ein Goi (Nichtjude) sich einst mit einem Juden stritt und ersterer dem Juden die uralte Verleumdung “Ihr Juden habt ja unseren Herrgott gekreuzigt”, ins Gesicht schleuderte, antwortete der lackenbacher ruhig und gelassen: Ja ‒ das waren ja nicht die Lackenbacher Juden, das waren doch die Kobersdorfer Juden.
Krauss Adonijahu, Lackenbach. Eine kultur-historische Skizze einer jüdischen Gemeinde. Jerusalem 1963, 44-52
[1] Siehe etwa den Eintrag auf geni.com (10. Juni 1808) oder gar Rabbiner Adonijahu Krauss (Jerusalem), Geschichte der Juden in Lackenbach, in: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes, Tel-Aviv 1970, 89, der sich um gut 10 Jahre irrt, wenn er schreibt: “Im Jahre 1802, mehrere Jahre nach dem Tode des letzten Rabbiners R. Lipschütz, kam…” [Zurück zum Text (1)]
[2] Zeile 3: Ein ח schließe ich eher aus, weil der 8. Siwan ein Freitag, also Erev Schabbat Kodesch עש”ק, während der 5. Siwan eben Montag Abend (Tag 2, 30. Mai) begann und Dienstag Abend (Tag 3, 31. Mai) endete. [Zurück zum Text (2)]
[3] Zeile 4 und 5: Genesis (Bereschit) Rabba 91,1. Die Zeilen rund um das Sterbedatum reimen sich sehr schön “4: bechajaw jesch séver, 5: uvmoto wehine schéver. [Zurück zum Text (3)]
- Zur Überblicksseite des Projekts “Jüdischer Friedhof Lackenbach“
- Die Grabsteine (The Gravestones) (work in progress)
- Personenregister
lieber Johannes , ich will dir gratulieren für diesen wiederum sehr prägnanten ehrenvollen und liebevollen perfekten Artikel bzw Beschreibung dieser Friedhofsgeschichte. die beiden Bilder sind auch ein Gedicht…. danke für deine Arbeit PS besonders die Beschreibung der Lebensgeschichte der beiden Rabbinen…
viele Grüße Ruth