Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Leopold (Löb) Wolf Segal, 01. Siwan 686 (= Freitag, 14. Mai 1926)
Standortnummer: 537
Die Grabinschrift
[1] H(ier liegt) {Levitenkrug} b(egraben) | פ {כד של לויים} נ |
[2] ein “Levitenführer” (Sega”l) | סגן לויה |
[3] d(er ehrenhafte) H(err) Löb Wolf, a(uf ihm sei) F(riede), | כ”ה ליב וואלף ע”ה |
[4] Sohn des berühmten, prachtvollen und angesehenen, | בן הנגיד המפורסם והמפואר |
[5] e(hrenhaften) H(errn) Esriel Wolf, a(uf ihm sei) F(riede). | כ”ה עזריאל וואלף ע”ה |
[6] Ein Mann von edlem Geist und großzügigem Herzen, erhöht unter dem Volk, | איש יקר רוח ונדיב לבב מורם מעם |
[7] erhaben in guten und würdevollen Eigenschaften, | נעלה במדות טובות ונשגבות |
[8] von namhaften, berühmten und angesehenen Männern und Mäzenen stammend. | מגזע אנשי שם מפוארים ונדיבים |
[9] Weise und in Liebe tätigte er seine fleißigen Hände. | שכל את ידיו חרוצים באמונה |
[10] Auch vollbrachte er Großes und erwarb sich einen guten Namen | וגם עשה חיל וקנה לו שם טוב |
[11] unter den Angesehenen des Landes, seinen Kaufleuten und Vornehmsten. | בין נכבדי ארץ סוחריה ושריה |
[12] Er handelte recht und verfuhr gut mit den Menschen, | רב פעלים טוב ומטיב עם אנשים |
[13] er liebte die Wahrheit und wusste einsichtsvollen Rat. | אוהב אמת לו עצה עם תבונה |
[14] Sehr bewährte er sich für jeden, der Hilfe erbat. | נמצא מאד לכל מבקש עזרה |
[15] Er verstarb zum Kummer seiner ihm Nahestehenden und ihn Liebenden | נפטר לתוגת לב קרובי ואהובי לבו |
[16] aus seiner erhabenen Familie und zum Leid all seiner | נפטר לתוגת לב קרובי ואהובי לבו |
[17] treuen und ihn achtenden Bekannten am V(orabend) d(es heiligen) Sch(abbat), | משפחתו הרמה ולדאבון כל מיודעין |
[18] am Neumondtag Siwan 686 n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung). | ראש חודש סיון תרפ”ו לפ”ק |
[19] Der Name seiner Mutter war Hendel. | ושם אמו הענדל |
[20] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). | תנצבה |
Anmerkungen
Zeile 6: Sprüche 17,27 וקר (ק: יקר) רוח.
Maleachi 1,6 Vgl. 1 Könige 14,7 “…Ich habe dich mitten aus dem Volk emporgehoben” …הרימתיך מתוך העם….
Zeile 9: Genesis 48,14; wörtl.: “…er kreuzte seine Hände…” …שכל את ידיו…. Es handelt sich um die Segnung der beiden Josef-Söhne Efraim und Manasse durch Jakob. Raschi interpretiert die Stelle dem Targum folgend (“…er legte seine Hände mit Vorbedacht…” …אחכימנון… und meint, “dass er (Jakob-Israel) Weisheit und Einsicht in seine Hände legte…”. Sowohl der Targum als auch Raschi denken dabei an die hebräische Wurzel שכל, an der die Bedeutung “bedenken, verstehen” haftet.
Vgl. Sprüche 10,4 “…fleißige Hand (macht reich)” …ויד חרוצים….
Zeile 10: קנה שם טוב Babylonischer Talmud, Traktat Avot II,8 “…hat er einen guten Namen erworben, hat er etwas für sich erworben”. Der gute Name kommt im Gegensatz zu allen anderen geistigen und sittlichen Gütern fast ausschließlich dem Besitzer zugute und bleibt auch nach dem Tod sein eigen (Hirsch Samson Raphael, Siddur. Israels Gebete, Zürich-Basel 1992, 443); s. auch Avot IV, 7 “… Drei Kronen gibt es: die Krone der Tora, die Krone des Priestertums und die Krone des Königtums; die Krone des guten Namens aber erhebt sich über sie” … שלשה כתרים הן: כתר תורה וכתר כהונה וכתר מלכות: וכתר שם טוב עולה על גביהן.
Zeile 11: Vgl. Jesaja 23,8 “…dessen Kaufleute wie Fürsten auftraten und dessen Händler die vornehmsten Herren der Erde waren.” …אשר סחריה שרים כנעניה נחבדי ארץ.
Zeile 12: 2 Samuel 23,20; 1 Chronik 11,22 רב פעלים. Babylonischer Talmud, Traktat Berachot 18b beschreibt den “tatenreichen Mann” als einen, der Taten für die Tora mehrte und sammelte …שריבה וקבץ פועלים לתורה. “Rav Pe’alim” ist auch der Titel eiens alfabetischen Indexes aller ihm bekannten Midraschim von Abraham ben Elijah von Wilna (ca. 1750-1808), Sohn des Gaon von Wilna (Warschau 1894, New York 1958/59, Tel Aviv 1967?).
Zeile 13: Vgl. Ijob 12,13 “…bei ihm sind Rat und Einsicht” …לו עצה ותבונה.
Zeile 14: Psalm 46,2 נמצא מאד.
Biografische Notizen
Leopold (Löb) Wolf Sega”l, geb. 27. Mai 1866 in Eisenstadt Mayerhof 133, Firmenvorstand in der Weingroßhandlung “Leopold Wolf’s Söhne”, seit 1883 in der Firma tätig. Realschule, Handelsschule, Kurs für Weinwirtschaft in Klosterneuburg; Gemeinderat von Oberberg-Eisenstadt; Verwaltungsrat der Eisenstädter Bank für Burgenland, der Britisch-Österreichischen Bank in Wien, der Ödenburger-Pressburger Eisenbahn, der genossenschaftlichen Spiritusbrennerei in Ödenburg, der Mühlendorfer Kreidenfabrik AG, Präsident des Vereines für Handel und Gewerbe des nördlichen Burgenlandes, Vizepräsident des Ungarländer Weinhändlerverbandes und des Beirates für Handel, Gewerbe und Industrie des Burgenlands; vormals Kammerrat der Ödenburger Handels- und Gewerbekammer, Virilist ds Ödenburger Komitates, Mitglied des Eisenstädter Kasinos, der Kaufmannshalle Budapest, des Residenzclub Wien, der Ungarisch-Historischen Gesellschaft, Gesellschafter der Firma Leopold Wolf’s Söhne, Eisenstadt, M. Bauer, Wien, Präsident der Waldheim-Eberle AG Eisenstadt.
Leopold Wolf starb mit 59 Jahren am 14. Mai 1926 um 09 Uhr in Eisenstadt an Gefäßverkalkung.
Vater: Ignaz (Esriel) Wolf, gest. 18. Jänner 1906
Mutter: Hermine (Hendel) Neubrunn, gest. 17. August 1931
Schwestern:
Ernestine Wolf (“Ester” in den Geburtsmatriken), geb. 04. April 1865 in Eisenstadt, geh. Dr. Jakob Schleiffer.
Tochter: Rosa Schleiffer, geb. 04. Dezember 1885 in Baden bei Wien, verh. mit Jenö Schmidek, wurde 1944 in Budapest ermordet (Schoa-Opfer)
Flora Wolf, geb. (“Fanni” in den Geburtsmatriken) 26. März 1868 in Eisenstadt, geh. Josef Braun
Tochter: Margarethe / Grete Braun, geb. 18. Jänner 1899, verh. mit Dr. Emmerich Bak, wurde in Auschwitz ermordet (Schoa-Opfer)
Jeni (Jeanette) Wolf, geb. 13. September 1869 in Eisenstadt, gest. 30. Jänner 1874 in Eisenstadt, begraben am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt
Adele Wolf (Adelheid in den Geburtsmatriken), geb. 01. November 1870 in Eisenstadt, geh. Dr. Max Böhm
Kathi / Gisela Wolf, geb. 27. Februar 1873 in Oberberg-Eisenstadt, geh. Dr. Benjamin Gomperz
Frieda / Frida Wolf, geb. 27. Jänner 1877 in Eisenstadt, geh. Alfred Löwy
Alice (Elke) Wolf, gest. 09. Juli 1906
Helene Wolf, geb. 06. Juli 1881, geh. Otto Stern
Ausführlichere Biografien und Matrikeneinträge aller Schwestern siehe bei Ignaz (Esriel) Wolf!
Bruder: Nathan Alexander (Sándor) Wolf, gest. 02. Jänner 1946 in Haifa
Ehefrau: Ottilie Maria Laschober, geb. 20. September 1873 in Eisenstadt, geh. 26. Mai 1896 in Eisenstadt, römisch-katholisch (!), Tochter von Matthias Laschober, Rechtsanwalt in Eisenstadt und Mutter weiland Theresia Job, Eisenstadt. Nach dem Protokoll aufgenommen vor Bürgermeister Adalbert Fügi am 07. Mai 1896, haben sich die Ehepartner dahin geeinigt, dass die Kinder die Religion des Vaters annehmen. Ottilie Wolf, geb. Laschober starb am 14. Februar 1927 und wurde auf eigenen Wunsch eingeäschert (s.u. Sterbeanzeige). Ihr Sohn Alexius (Élek) Wolf (s.u.) konzipierte 1929 das Wolf-Mausoleum im ehemaligen Obst- und Gemüsegarten der Familie Wolf, am Fuße des Leithagebirges, heute knapp oberhalb des Gymnasiums Wolfgarten. In diesem wunderschön, fast idyllisch gelegenen Mausoleum sind nicht nur Ottilie, sondern mit Ausnahme von Tochter Theresia Wolf, alle anderen Töchter und Söhne, Schwiegerkinder usw. von ihr begraben (s.u.).
Angemerkt sei, dass sich, zumindest als hartnäckiges Gerücht, die Geschichte hält, dass der Rabbiner über diese Mischehe wenig begeistert war und schwor, nie mehr einen Schritt über die Schwelle der Synagogentür zu setzen, wenn die beiden wirklich in seiner Synagoge heiraten. Was dann geschah, lesen Sie im Beitrag “Wolf-Mausoleum“.
Siehe auch unseren Artikel “Italienische Reise – Abbazia / Opatja“!
Töchter:
Theresia Wolf, geb. 22. März 1902 in Oberberg-Eisenstadt, zuständig nach Unterberg-Eisenstadt, geh. 04. Mai 1923 Heinrich (Henko, Henry) Gartenberg, (er war davor schon einmal verheiratet), geb. 02. September 1895 in Drohobycz (Galizien), Sohn von Ignatz Isak Gartenberg und der Adele Schreyer, im Erdölgeschäft tätig, 1 Tochter: Vera Marie Gartenberg, geb. 03. November 1926 in Wien. Ehe wurde am 07. November 1932 gerichtlich getrennt vom Bezirksgericht Margarethen.
2. Ehemann: Paul Robert Regenstreif, Ingenieur, Anthroposoph, Schriftsteller und Astrologe, geb. 21. Jänner 1899 in München, Taufe: 21. März 1905, evang. Pfarre AB), Sohn des Friedrich Regenstreif und der Johanna Ortlieb, 1 Tochter: Hanna Regenstreif, verheiratet mit Jonas Jonny Rosenthal (beide noch am Leben).
Theresia Gartenberg, geb. Wolf, trat, gemeinsam mit ihrer Tochter Vera Marie am 11. November 1932 (also 4 Tage nach ihrer Scheidung von Heinrich Gartenberg!) aus dem Judentum aus, damals wohnhaft in Wien IV, Schwindgasse. Theresia ließ sich am 02. Dezember 1932 in der evangelischen Stadtpfarrkirche taufen, Vera Marie Gartenberg wurde am 19. Juli 1933 in der evangelischen Stadtpfarre AB getauft.
Theresia Regenstreif, geb. Wolf, starb am 01. März 1991 in Buenos Aires, Argentinien.
Margarete Rosa (Margit, Manci) Wolf, geb. 29. Juni 1905 in Eisenstadt, geh. 15. September 1929 Adolf Georg Flesch, Lederfabrikant, geb. 21. April 1903 in Brünn, gest. 1964 in Argentinien, Sohn von Adolf David Flesch, Präsident der Aktiengesellschaft der Alt-Brünner-Lederwerke, gest. 09. September 1940, und Adelheid (Adele) Brauner (Schoa-Opfer, 23. März 1942 aus Brünn nach Theresienstadt deportiert, am 19. März 1942 nach Treblinka, ermordet).
Die Ehe zwischen Margarete Rosa Wolf und Adolf Georg Flesch blieb kinderlos.
Margarete Wolf starb 1984 in Argentinien.
Im Urnengrab im Mausoleum mit Margarete Wolf gemeinsam bestattet sind ihr Bruder Franz Joachim Wolf und ihr Ehemann Adolf Flesch.
Bei der Familie Flesch kann mit mit Recht von einem Clan sprechen. Nicht nur, dass es innerhalb dieser bemerkenswerten Familie eine Vielzahl an Verwandtenehen gegeben hat, es sich auch der Umfang und die Vernetzung der einzelnen Zweige bemerkenswert … spielten praktisch alle Söhne und Schwiegersöhne in der österreichischen Wirtschaft bedeutende Rollen…
Gaugusch Georg, Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800-1938, I, 670
Söhne:
Jenö (Eugen) Wolf, geb. 05. Oktober 1897, geh. 03. Mai 1921 Minna Tauber. geb. 10. August 1902 in Wysočan, Tochter von Eugen Tauber und Johanna, geb. Schlesinger. 2 Kinder: Wilhelm Ignaz Matthias Wolf, geb. 20. November 1922 in Wien und Thomas Joachim Wolf, geb. 28. Juni 1924 in Wien VIII, Wohnung der Eltern: Albertgasse 33, Wien VIII (im Geburtsmatrikeneintrag wohl falsch: Vater: Frigesz).
Thomas Joachim heiratete am 06. Jänner 1951 Erika Luise Casanova in Zürich.
Eugen Wolf und Minna Tauber konvertierten am 09. Juli 1938 in Budapest zum römisch-katholischen Glauben.
Eugen (Jenö) Wolf starb am 27. Mai 1941, um 08 Uhr in Budapest. Eugen Wolf und seine Ehefrau Minna sowie seine beiden Söhne und die Eltern von Minna sind im Wolf-Mausoleum begraben, s.u.
Élek (Alexius) Wolf, Architekt, geb. 21. Oktober 1898 in Eisenstadt, geh. 17. Juli 1924 Elisabeth Stein, Tochter des Felix Stein und der Franziska Kürschner, geb. 14. September 1905 in Wien, zuständig nach Strakonitz, 1 Sohn: Felix Leopold Wolf, geb. am 06. Juli 1926 in Wien VIII, Schmidgasse 14 (s. u. Geburtsmatriken). Felix Leopold wurde 1944 in Budapest ermordet und war Schoa-Opfer.
Im Wolf-Mausoleum erinnert an ihn eine “In memoriam”-Tafel (s.u.).
Alexius Wolf starb 1951 in Budapest (Urnengrab im Wolf-Mausoleum, s.u.), Elisabeth Stein heiratete am 14. November 1963 Leo Charles Collins im Standesamt Margarethen in Wien (s. u. Trauungsmatriken Alexius Wolf und Elisabeth Stein).
Élek (Alexius) Wolf trat am 19. Mai 1933 aus dem Judentum aus.
Alexius Wolf lässt sich seit 1926 in Eisenstadt und in den Jahren 1928 bis 1938 in Wien als Architekt nachweisen. In den Jahren 1928 bis 1938 wohnte Alexius Wolf in Wien III, Jacqingasse 23/37 (s.u. Geburtsmatriken von Sohn Felix Leopold!), wo er vermutlich bis 1933 auch sein Atelier hatte, von 1934-1936 in Wien IV, Schwindgasse 7 und 1936 bis 1938 in Wien III, Fasangasse 27. Alexius Wolf konzipierte 1929 in Eisenstadt das Mausoleum der Familie Wolf (s.o. bei seiner Mutter Ottilie bzw. den Beitrag ‘Wolf-Mausoleum‘).
Zu Alexius Wolf als Architekt siehe v.a. Prinke Helmut, Architektur der Landeshauptstadt Freistadt Eisenstadt von 1850 bis 2012, Eisenstadt 2014, 341f, wo sich auch eine Werkauswahl von Alexius Wolf befindet
Franz Joachim Wolf, geb. 06. Mai 1900, geh. 1920 Paula Siffert, gest. 1950 in Wien, 1 Tochter: Susanna Maria Wolf.
Franz Joachim Wolf trat am 17. September 1920 aus dem Judentum aus.
Franz Joachim Wolf starb 1938 in Budapest durch einen Motorradunfall und ist gemeinsam mit seiner Schwester Margarete Flesch und ihrem Ehemann Adolf Flesch im Urnengrab im Wolf-Mausoleum bestattet (s.o.).
Material und Maße des Grabsteins
Diorit, 206/83/37
Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt