Heute ist Sonntag, der 8. Tevet 383…

Heute ist Sonntag, der 8. Tevet 383…

Der Beitragstitel ist ein Zitat aus der Grabinschrift des ältesten jüdischen Grabsteins von Ebenfurth vom 11. Dezember 1622.

 

Ein Sensationsfund: 28 Grabsteine und Grabstein-Fragmente in Ebenfurth

 
Landesrabbiner Schlomo Hofmeister
Landesrabbiner Schlomo Hofmeister beim Besichtigen der Grabsteine im Schloss Ebenfurth
 

Anfang 2020 wurden bei Renovierungsarbeiten im Schloss Ebenfurth im Fundament einer Mauer, die als Schutz gegen den osmanischen Vormarsch 1683 errichtet worden war, 28 jüdische Grabsteine bzw. Grabstein-Fragmente aus dem 17. Jahrhundert gefunden. Der älteste Grabstein hat das Sterbedatum 8. Tevet 383 = 11. Dezember 1622. Der Fund darf jedenfalls als Sensation bezeichnet werden, da bis dato nicht bekannt war, dass diese Grabsteine bzw. Grabstein-Fragmente aus der Blütezeit der jüdischen Gemeinde Ebenfurth noch existieren.

Restaurierte Mauer im Schloss Ebenfurth, in deren Fundament die 28 jüdischen Grabsteine bzw. Grabstein-Fragmente 2020 gefunden wurden
Restaurierte Mauer im Schloss Ebenfurth, in deren Fundament die 28 jüdischen Grabsteine bzw. Grabstein-Fragmente 2020 gefunden wurden

 

Zur Geschichte der Juden in Ebenfurth

Als 1994 das Gebäude der ehemaligen Synagoge von Ebenfurth geschleift wurde, begannen auch die Recherchen zur jüdischen Geschichte der Stadt.[1]
Die Synagoge befand sich am Annaplatz, später das Häuschen des Schuhmachers Mayer, mitten im jüdischen Viertel.[2] Ein Toreingang zur Synagoge mit dem hebräischen Zitat “Dies ist das Tor zum Herrn, Gerechte werden dahin eintreten” (Psalm 118,20 als Notarikon ז”ה”ל”ייצ”י”ב”) konnte gerettet und renoviert werden.

Möglicherweise befand sich bereits im Mittelalter, vor der sogenannten “Wiener Gesera“, der vollständigen Vernichtung bzw. Vertreibung der Juden aus dem Herzogtum Österreich, eine jüdische Gemeinde in Ebenfurth.

Die Wiederbesiedlung dauerte jedenfalls sehr lange, erst die Ausweisungen aus den Herzogtümern Steiermark und Kärnten 1496/97 führten zu einer neuerlichen Ansiedlung von Juden in Österreich unter der Enns. Mit kaiserlicher Erlaubnis ließen sich jene Juden, die nicht nach Görz, Triest oder Istrien bzw. nach Ungarn, Böhmen und Mähren gezogen waren, zunächst in der ungarischen Grenzregion auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes nieder, wenig später auch in Niederösterreich. 1614 sind erstmals Juden in Ebenfurth belegt.[3]

Zwischen 1652 und 1671 war Ebenfurth die größte jüdische Gemeinde von insgesamt 48 jüdischen Gemeinden in Niederösterreich. Das Urbar der Herrschaft Ebenfurth aus 1644 (HKA, Urbar Nr. 944) zählt in der Stadt 25 Häuser auf, die von Juden bewohnt werden. 1652, 1662 und 1666 sind in Ebenfurth 24 jüdische Familien registriert, 1669 sind es sogar 45 Familien. Den Grund für das in nur drei Jahren starke Anwachsen der jüdischen Bevölkerung kennen wir nicht, die jüdische Bevölkerung stellte damals jedenfalls etwa 20-30% der Ebenfurther Bevölkerung.

Die Ebenfurther Juden waren vor allem im Münzwesen tätig, Handwerk und ähnliche Tätigkeiten waren den Juden verboten.

…in einem Bericht des Hofkammerarchivs vom 28. 4. 1622 wird über ‘Gold, Silber, Groschen, Halbpazen in den Truchen’ von Israel Marxen und dem Salomon, beide ‘Judt von Ebenfurth’ berichtet… Ein Deputierter der Landjuden war ein ‘Phöbus aus Ebenfurth’, der um 1666 für die Steueraufteilung mitverantwortlich war. Weiters wird in einer Abrechnung vom 24. Juli 1662 ein Schätzungsdeputierter ‘H. Feibisch Ebenfurter Judt dem Herrn Unverzagt gehörig’ genannt. Die Steuerbemessung am 3. 8. 1662 war: 116 Gulden 24 Kr, der Rest war am 17.4. 1663 in der gleichen Summe fällig.[4]

Am 26. August 1671 begann die Vertreibung der Ebenfurther Juden, ab 1671 haben wir kaum noch Informationen über jüdisches Leben in der Stadt. Erst nach 1867 siedelten sich einige Familien wieder in Ebenfurth an.

Der sogenannte Anschluss im März 1938 besiegelte den Anfang vom endgültigen Aus jeden jüdischen Lebens in Ebenfurth, 1941 waren in Ebenfurth 47 Juden unbekannter Herkunft Zwangsarbeiter der Gutsverwaltung.

 

[1] Philapitsch Anton, Die Juden in Ebenfurth, in: David, 7. Jahrgang, Nr. 26, September 1995, 12f. [Zurück zum Text (1)]

[2] Glatz Sandra, Synagogen des Mittelalters und der frühen Neuzeit im Raum Niederösterreich. Virtuelle Rekonstruktion der Synagogen von Oberwaltersdorf und Ebenfurth (Diplomarbeit), Wien 2013, S. 60ff; Genée Pierre, Synagogen in Österreich, Wien 1992, 40. [Zurück zum Text (2)]

[3] Brugger Eveline, Keil Martha u.a., Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2013, 237ff; Staudinger Barbara, Gantze Dörffer voll Juden, Wien 2005, bes. 93 [Zurück zum Text (3)]

[4] Philapitsch Anton, Die Juden in Ebenfurth, in: David, 7. Jahrgang, Nr. 26, September 1995, 12f. 1581 wurde Ebenfurth Pfandbesitz der Herren von Unverzagt, 1589 erwarben sie durch Kauf die Stadt, die sie 1747 an Leopold Suttner v. Gundacker weiter verkauften. In ihre Zeit fiel die Gründung der jüdischen Gemeinde, das Schloss erhielt sein heutiges Aussehen. [Zurück zum Text (4)]

 

Obwohl aus jüdischer Sicht sozusagen off-topic, darf ein fast unglaublicher Netzfund hier auch noch erwähnt werden: Die einzig erhaltene Tonaufnahme der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (als Tante Boulotte) im Schloss Ebenfurth, am 23. Mai 1904. Danke Silvia Freudensprung-Schöll für Fund und Hinweis!

 


 

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