Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Emil (Meir) Spitzer, 17. Tischre 689 (= Montag, 01. Oktober 1928)
Standortnummer: 534
Die Grabinschrift
[1] H(ier liegt) b(egraben) | פ”נ |
[2] der Vorsteher und das Haupt der Berufenen der Gemeinde, | האלוף והראש לקרואי העדה |
[3] dessen Name innerhalb der Tore (der Stadt) bekannt war und ihm zum Ruhm gereichte, | שמו נודע בשערים לתהלה |
[4] ein Spross aus einem Stamm von Gerechten und Untadeligen, | חוטר מגזע ישרים ותמימים |
[5] ein Ecksein unserer Gemeinde, der Großes vollbrachte, | פנת יקרת קהלתינו, רב פעלים |
[6] der erhabene und glanzvolle Fürst, | הנגיד המרומם והמפואר |
[7] d(er ehrenhafte) H(err) Meir | כ”ה מאיר |
[8] Spitzer, a(uf ihm sei) F(riede), | שפיטצער ע”ה |
[9] Sohn des Vornehmen und ehrenwerten, | בן הקצין הנכבד |
[10] e(hrenhaften) H(errn) Löb Halevi Spitzer a(uf ihm sei) F(riede). | כ”ה ליב הלוי שפיטצער ע”ה |
[11] Er verstarb und wurde mit seinem Volk vereint zum Laubhüttenfest | נפטר ויאסף אל עמו בחג האסיף |
[12] am 1. Zwischenfeiertag 689 n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung). | ביום א של חול המועד ת”רפ”ט לפ”ק |
[13] In bitterer Trauer rufe ich, und Klagelieder stimme ich an. | מספד מר ארימה, וקנים אעיר |
[14] Wie wurde es plötzlich dunkel, und das Licht (Meir) erlosch, | איך פתאם נחשך, וכבה מ’א’י’ר’ |
[15] klagt die verbitterte Seele, der einzige Sohn, über den Verlust. | יצריח במר נפש, בן יחיד על השבר |
[16] Er häufte Jammer über Jammer darüber, dass er (der Vater) in seiner vollen Kraft ins Grab kam (62). | רב תאניה ואניה, על ב’א ב’כ’ל’ח’ בקבר |
[17] Oh weh, mein Vater, mein Liebling, meine prächtige Zier! | הוי אבי מחמדי, צבי תפארתי |
[18] Warum hast du mich verlassen, und ich blieb allein zurück? | למה עזבתני, ואני לבדי נשארתי |
[19] Ach, unser Bruder, unsere Verwandten, klagen seine Familienangehörigen, | וי אחינו קרובינו, יקוננו בני משפחתו |
[20] mit ihnen zusammen klagst du über ihn und die ganze Versammlung seiner Gemeinde | יחדיו עליו תאבל, כל קהל עסתו |
[21] über das Haupt und den Fürsorger, denn die Zeit seiner Heimholung ist gekommen. | על הראש ופקיד, כי בא פקודתו |
[22] Der Name seiner Mutter war Schwarzel. | שם אמו שווארצל |
[23] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). | תנצבה |
Rückseite: Die Grabinschrift
[1] EMIL SPITZER | |
[2] geb. 17. Juni 1867 | |
[4] gest. 01. Oktober 1928 |
Anmerkungen
Zeile 2: Numeri 1,16 קריאי (ק: קרואי) העדה.
Zeilen 3: Sprüche 31,23 נודע בשערים.
Zeile 4: Jes 11,1 חטר מגזע; vgl. Hos 14,10 “…Ja, die Wege des Herrn sind gerade…” …כי ישרים דרכי יהוה…; Wachstein verweist auf Babylonischer Talmud, Traktat Moed Qatan 25b “…ein Geschlecht von Altehrwürdigen kam von Babel…” …גזע ישישים עלה מבבל… ((Wachstein B., Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Quellen zur Geschichte der Juden in Deutsch-Österreich, hrsg. von der historischen Kommission der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, IV, Wien 1912, II 115)).
Zeile 5: Jesaja 28,16 פנת יקרת.
2 Samuel 23,20; 1 Chronik 11,22 רב פעלים. Babylonischer Talmud, Traktat Berachot 18b beschreibt den “tatenreichen Mann” als einen, der Taten für die Tora mehrte und sammelte …שריבה וקבץ פועלים. “Rav Pe’alim” ist auch der Titel eines alphabetischen Indexes aller ihm bekannten Midraschim von Abraham ben Elijah von Wilna (ca. 1750-1808), Sohn des Gaon von Wilna (Warschau 1894, New York 1958/59, Tel Aviv 1967?).
Zeile 11: Vgl. Geneisis 49,33 u.a. “(Jakob) verschied und wurde mit seinen Vorfahren vereint (wörtl.: “…zu seinen Vorfahren eingesammelt”) …ויגוע ויאסף אל עמיו. In der Inschrift findet sich allerdings nicht עמיו (“seine Vorfahren”), sondern עמו “sein Volk”. Die gesamte Formulierung wurde wohl gewählt, um dem Sterbedatum eine tiefere Bedeutung zu geben, daher auch die weniger übliche Bezeichnung für das Sukkot-Fest חג האסיף, wörtl.: “Fest der Einsammlung”.
Zeile 12: Der 1. Zwischenfeiertag von Sukkot war im Jahr 5689 der 17. Tischre, umgerechnet der 1. Oktober 1928.
Zeilen 13/15: Vgl. Ezechiel 27,31 “…und weinten über dich mit verbitterter Seele, mit bitterer Klage” …ובכו אליך במר נפש מספד מר.
Zeile 14: Über dem Wort מאיר befinden sich Punkte, um die alternative Lesung “…und Meir wurde ausgelöscht” zu assoziieren. Die Punkte sind im hebräischen Text ausnahmsweise durch einfache Striche gekennzeichnet.
Zeile 15: במר נפש s.o. Anm. zu Zeile 13/15.
Emil Spitzer hatte zwei Söhne. Georg Spitzer starb jedoch zwei Jahre vor seinem Vater.
Zeile 16: Klagelieder 2,5 וירב…תאניה ואניה; vgl. auch Jesaja 29,2.
Vgl. Ijob 5,26 “Bei voller Kraft steigst du ins Grab…” תבוא בכלח אלי קבר…. Über dem ב von בא sowie über dem Wort בכלח befinden sich Punkte, die, addiert man ihren Zahlenwert, 62 ergeben. Emil (Meir) Spitzer starb in diesem Alter. Auch hier sind die Punkte wie in Zeile 14 in der Abschrift ausnahmsweise durch einfache Striche ausgewiesen worden.
Zeile 17: Vgl. Jesaja 28,1 “Wehe…(der schon welkenden Blume) seiner prächtigen Zier…” הוי…צבי תפארתו….
Zeile 18: Psalm 22,2 למה עזבתני.
Zeile 19: וי: Den Ausdruck wird bei Raschi zu Exodus 32,18 וי אנוסה und in Babylonischer Talmud Traktat Taanit 27b וי אבדה נפש.
Es könnte auch “unsere Brüder” übersetzt werden (grammatisch korrekt), wenn man in Betracht zieht, dass zum Zeitpunkt des Todes von Emil Spitzer auch sein jüngerer Sohn bereits verstorben war. “Unsere Verwandten” bezieht sich offensichtlich auf Mutter, Sohn und Vater.
Zeile 20: Numeri 14,5 קהל עדת; vgl. auch Exodus 12,6. Der zweite Teil der Zeile knüpft an den zweiten Teil von Zeile 19 an. Die Zeilen 19-21 machen eine sprachlich nicht sehr flüssigen Eindruck, was darauf zurückzuführen ist, dass sie syntaktisch offensichtlich sowohl dem Akrostichon als auch dem durchgehenden zweizeiligen Reim untergeordnet wurden.
Zeile 21: Hosea 9,7 u.a. באו ימי הפקדה.
Zeilen 13-22: Akrostichon: Die Anfangsbuchstaben inklusive dem ersten Buchstaben des zweiten Wortes in Zeile 21 ergeben den hebräischen Vornamen des Verstorbenen (Meir Halevi) sowie die abbrevierte Euphemie “a(uf ihm sei) F(riede)”.
Biografische Notizen
Emil (Meir) Spitzer, Lederfabrikant; geb. 17. Juni 1867 (s.u. Geburtsmatriken mit hebräischem Namen Meir), gest. 01. Oktober 1928 um 09 Uhr an Herzbräune in Eisenstadt, begraben am 03. Oktober um 11 Uhr in Eisenstadt; wh: Unterberg-Eisenstadt 26.
Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde: 1910, 17. Jänner 1918 – 04. April 1918, 1919 – 1920, 1921 – 1925 und 1928.
Richter (Bürgermeister): 1925.
Vizepräsident der Burgenländischen Handelskammer, Vizepräsident der Burgenländischen Industriellenvereinigung, Verwaltungsrat und Zensor der Eisenstädter Bank für das Burgenland.
Abraham Spitzer [Großvater von Emil] hatte 1852 in Eisenstadt eine Lederfabrik, die pro Jahr 300 Zentner Leder erzeugte und 5 Gesellen beschäftigte. Die Fabrik bestand bis etwa 1935 und hatte zur Zeit ihrer Blüte etwa 100 Beschäftigte. Die letzten Besitzer Emil und Moritz Spitzer gaben vielen Familien Arbeit und Brot, nach dem 1. Weltkrieg zerfloss ihr investiertes Millionenkapital.
Klampfer J., Das Eisenstädter Ghetto (Burgenländische Forschungen 51), Eisenstadt 1965, 91.
Vater: Leopold (Löb) Spitzer, gest. 08. Februar 1897
Mutter: Charlotte (Schwarzl) Spitzer, geb. Braun, gest. 05. Juni 1914
Ehefrau: Gisela (Gütel) Spitzer, geb. Kohn 1884, Tochter des Baruch Kohn und der Amalia Subak, geh. 27. März 1906 in Brünn, eingetragen in Kostel (Podivín). Die Mutter von Gisela Kohn war zum Zeitpunkt der Hochzeit schon verstorben, sie ist in Kostel (Podivín) begraben.
Schwestern:
Pauline/a Gestetner, geb. Spitzer 25. September 1869
Regina (Irene) Wertheim, geb. Spitzer 15. Jänner 1876
Brüder:
Samuel Spitzer, geb. 10. Oktober 1864, sehr wahrscheinlich als Kind gestorben
Samuel Spitzer, geb. 08. Mai 1866
Moritz (Jakob? Michael Zvi) Spitzer, gest. 22. Jänner 1932
Imre Spitzer, geb. 08. Dezember 1883, gest. 26. Dezember 1883
Söhne:
Leopold Franz Spitzer, geb. 17. Dezember 1906 in Eisenstadt
Georg (Jakob) Spitzer, geb. 09. September 1908 in Eisenstadt, gest. 12. Oktober 1926
Material und Maße des Grabsteins
Diorit, 240/84/76
Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt