Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Katharina (Sara Gütel) Kutna, 11. Cheschwan 664 (= Sonntag, 01. November 1903)
Standortnummer: 632
Die Grabinschrift
[1] H(ier liegt) b(egraben) | פ”נ |
[2] eine wohltätige und fromme Frau mit weisem Herzen | האשה הצדקת והחסודה חכמת לב |
[3] und edlem Geist. Gütige Lehre lag auf ihrer Zunge. | ויקרת רוח תורת חסד על לשונה |
[4] Mit fleißigen Händen übte sie die Erhabenheit der Liebe. | ותעש בחפץ כפים הוד האהבה |
[5] Der Glanz des Glaubens erschien in ihren Werken. | והדר האמונה הופיעה במפעליה |
[6] Es erheben sich ihr Mann, ihre einzige Tochter, ihr Schwiegersohn und ihre Neffen, | קמו אישה בתה היחידה, חתנה ונדכיה, |
[7] ihre Familienangehörigen, die Jünger d(es Herrn) und alle ihr Nahestehenden. | בני משפחתה, למודי ה’ וכל קרובי נפשה |
[8] Es priesen sie die Armen der Menschheit, die Witwen und Waisen, | ויאשרוה עניי אדם אלמנות ויתומים |
[9] und alle, die sie kannten und um sie wussten, lobten sie. | וכל יודעיה ומכיריה ויהללוה. |
[10] Die Rabbinersgattin, Frau | הרבנית מרת |
[11] Sara Gütel, a(uf ihr sei) F(riede), | שרה גיטל ע”ה |
[12] Gattin des hiesigen Rabbiners, unseres Lehrers und Rabbiners, | אשת הרב דפה מורנו ורבנו |
[13] des MORENU Schalom Kutna, s(ein Licht) m(öge leuchten), | מו”ה שלום קוטנא נ”י |
[14] Tochter des großen, gelehrten, gerechten und bescheidenen Rabbiners, | בת הרב הגאון צדיק ועניו |
[15] des MORENU Gottlieb Fischer, d(as Andenken) d(es Gerechten) m(öge bewahrt werden), | מו”ה גאטליב פישער זצ”ל |
[16] und ihrer Mutter, die ein Jahr nach ihrer Niederkunft starb, | ואמה שמתה שנה אחת אחר לדתה |
[17] der wohltätigen Frau Rachel, a(uf ihr sei) F(riede). | הצדקת מרת רחל ע”ה |
[18] Sie starb am Sonntag, dem 11. Cheschwan, und wurde begraben unter Anteilnahme einer | מתה ביום א’ יא חשון ונקברה בקבוץ |
[19] großen Menschenmenge mit Trauerreden, -gesängen und Wehklagen am Dienstag 664. | עם רב והספד קנה ונהי ביום ג’ תרסד |
[20] I(hre) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). | תנצבה |
Anmerkungen
Zeile 2: Exodus 35,25.35 וכל אשה חכמל לב, חכמת לב.
Zeile 3: Sprüche 17,27 וקר (ק: יקר) רוח.
Sprüche 31,26 ותורת חסד על לשונה.
Zeile 4: Sprüche 31,13 ותעש בחפץ כפיה. S. besonders den Kommentar von Hirsch: “Sie war der Fleiß und die Tätigkeit selbst. Sie suchte, sie forderte Stoff, um ihn mit der Lust ihrer Hände zu bereiten … Kapajim sind nämlich nicht die arbeitenden, schaffenden, sondern die geschlossenen oder einen Inhalt einschließenden Hände. Ihre Hände konnten nicht ruhen, und wenn sie in Ruhe geschlossen waren, ‘sehnten’ sie sich nach Arbeit, das ist חפץ כפיה (Hirsch Samson Raphael, Siddur. Israels Gebete, Zürich-Basel 1992, 287).
Zeile 7: Jesaja 54,13 למודי יהוה.
Zeile 6-9: Vgl. Sprüche 31,28 “Ihre Söhne stehen auf und preisen sie glücklich, auch ihr Mann erhebt sich und rühmt sie” קמו בניה ויאשרוה בעלה ויהללה.
Zeile 13 und 15: MORENU bedeutet wörtlich “u(nser) L(ehrer), H(err)”. Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als “synagogaler Doktortitel” (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).
Zeile 19: הספד meint die öffentlich(e) (gezeigte) Trauer(feier) im Unterschied zum eigentlichen Trauergefühl, dessen Ausmaß etc. nicht vorgeschrieben werden kann; s. bes. babylonischer Talmud, Traktat Taanit 18a, Megilla 5b sowie weiters Rosch Haschana 25a, Mo’ed Qatan 21b u.a.
Biografische Notizen
Katharina (Sara Gütel) Kutna; geb. in Eske, Komitat Veszprém-Wesprim, gestorben mit 69 Jahren; wh: Unterberg-Eisenstadt.
Jahrzeittafel Sara Gütel (Kutna)
Jahrzeittafel-Installation in der Synagoge unseres Museums
Jahrzeittafel von Sara Gütel (Kutna) – die Übersetzung:
[1] Jahrzei(t) der | יאהרציי’ של |
[2] Fr(au), der Rabbinersgattin | האש’ הרבנית |
[3] Sara Gütel, | שרש גיטל |
[4] Tochter der Rachel. | בת ראכל |
[5] 11. Cheschwan | י”א חשון |
[6] 663. | תרסג. |
Bemerkenswert vielleicht, dass kein Nachname angeführt wird, weder der unverheiratete Name (immerhin war sie Tochter eines berühmten Rabbiners), noch der des Ehemanns und Eisenstädter Oberrabbiners Salomo Kutna. “Rabbinersgattin” sowie der hebräische Vorname mit Erwähnung des hebräischen Namens der Mutter reicht.
Ausführliche Informationen über die Jahrzeit und die Jahrzeittafel-Installation in der Synagoge des Museums finden Sie im Blogartikel Jahrzeit.
Vater: Gottlieb (Jedidja) Fischer, gest. 12. Oktober 1895
Mutter: Magdalena (Eleonore?, Rachel) Goldschmiedt
Ehemann: Salomo Kutna, gest. 07. Februar 1909 (1. Ehefrau)
Schwestern:
Mari(e) Fischer, geb. ca. 1838 in Balota, geh. Moritz Blau. Deren Sohn, Felix (Feiwel) Blau, wurde am 17. April 1861 in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) geboren und war der letzte Rabbiner von Schlaining bzw. Oberwart. Er starb am 4. Jänner 1932 in Oberwart.
Rosalie Fischer, geb. ca. 1841 in Palota (Ungarn), geh. 27. Juni 1859 Bernhard Papa, Sohn des Philipp Papa und der Hani (Papa) aus Tinnye (Ungarn), in Székesfehérvár (Stuhlweissenburg)
Brüder:
Ignaz (Isak) Fischer, geb. 04. November 1854 Szekesfehervar (Stuhlweissenburg), gest. 15. Februar 1923
Gabriel Fischer, gest. 09. Juli 1920
Moritz Fischer, geb. 09. Mai 1858 in Székesfehérvár (Stuhlweissenburg)
Tochter: Emilie (Sara Mirl Chaja) Fürst, gest. 02. Februar 1905
Sohn: Gabriel Kutna, gestorben mit 19 Jahren am 17. Juni 1874, begraben am älteren jüdischen Friedhof Eisenstadt.
Material und Maße des Grabsteins
Granit, 190/85/50
Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
[Fortsetzung] Im Sterbehause, dessen Räume die große Zahl der Erschienenen kaum zu fassen vermochten, widmete der älteste Enkel, Herr M. A. Fürst – Wien, der Großmutter tiefergreifende Abschiedsworte, welche dem eigenen Danke und dem der Bachurim [Jeschiwa-Studenten] Ausdruck gaben für all’ die Wohlthaten, die sie in dem gastfreundlichen Hause der Verklärten empfingen. Als dann auf dem Friedhofe der greise Gatte seinem tiefen, gerechten Schmerze Worte des Nachrufs abrang, blieb sein Auge thränenleer. An der Hand zahlreicher, sinnig erklärter Bibel- und Midrasch-Sätze entrollte er in der ihm eigenen redegewaltigen, lichtvollen Weise ein getreues Lebensbild der theuren Lebensgefährtin, welche, der Stammutter Sara gleichend, als aufopferungsvolle, hingebende Gattin, Mutter und Großmutter selbstlos nur Anderen lebte, buchstäblich sich selbst den Bissen vom Munde abkargte, um ihn den Hungernden zu reichen. Eine mächtige Bewegung ging durch alle Anwesenden, als Redner jenen Midrasch deutete, der erzählt, daß das Alter, die Betagtheit von Abraham, erst nach dem Hintritte Sara’s empfunden wurde, daß er wohl schon früher den Jahren noch ein Greis gewesen, daß aber die Last der Jahre ihn erst bedrückte, nachdem die Gattin von seiner Seite gerissen war: erst nach dieser Heimsuchung wird berichtet, daß er בא בימים [in die Jahre gekommen war]. –
Sodann sprach der Schwiegersohn, der Rabbiner der Wiener “Schiffschul” Herr R. J. [Jeschaja] Fürst, welcher, an den Wehruf אדם מאלף אחד מצאתי ואשה בכל אלה לא מצאתי [einen Menschen unter tausend fand ich, aber unter allen diesen nicht eine Frau] anknüpfend, die Entschlafene als die Idealgestalt echt jüdischer Frauentugenden feierte und den Empfindungen des Dankes für all’ die reiche Liebe und Sorgfalt erschütternden Ausdruck gab, welche die Heimgegangene ihm selbst während der im Hause der Schwiegereltern verlebten Jahre gewidmet, welche es ihm ermöglicht hat,in sorgenloser Hingebung dem Thora-Studium zu obliegen und so für seinen künftigen Beruf sich heranzubilden. Nachdem sodann der Schwager, Herr Oberrabbiner Fischer – Eperies, und Herr Oberrabbiner Grünwald – Oedenburg gesprochen, wurden die sterblichen Reste dem Schooße der Erde übergeben, und wir schieden von dem frischen Grabhügel mit dem einhelligen Bewußtsein, daß eine der Edelsten und Besten, eine Zierde ihres Geschlechts aus unserer Mitte geschieden ist. תנצב”ה.
Nachruf für Katharina Kutna:
Jüdische Presse (Berlin), 34. Jg., Nr. 45 (12. November 1903), S. 502:
Eisenstadt, 6. November. (Eig. Mitth.) Unser allverehrter Herr Oberrabbiner Kuttner נ”י [נרו יאיר = sein Licht leuchte] hat einen schweren, unersetzlichen Verlust erlitten: seine edle, gute Gattin, die seit fünf Jahren kränkelte, wurde ihm durch den Tod entrissen; am vorigen Sonntag ist die Neunundsechzigjährige sanft hinübergeschlummert in die Ewigkeit. Wer diese ausgezeichnete Frau gekannt, vermag die Schwere des Verlustes zu ermessen, den ihr Ableben für den tiefgebeugten Gatten bedeutet, dem sie zweiundfünfzig Jahre hindurch eine treue Beratherin und Helferin in seinen gottgeweihten Bestrebungen gewesen. Eine würdige Tochter des großen unvergeßlichen Rabbi Gottlieb Fischer זצ”ל [זכר צדיק לברכה = das Andenken des Gerechten sei zum Segen] in Stuhl-Weißenburg, bewährte sich die Entschlafene zeitlebens als eine אשת חיל [wackere Frau] in des Wortes schönster, umfassendster Bedeutung, als der gute Genius ihres Gatten, als die fürsorgliche Förderin der Thora-Jünger, die zu dessen Füßen saßen, als eine Mutter der heimischen Armen und derjenigen, die hilfesuchend hierherkamen, als die unermüdliche Gönnerin der Wittwen und Waisen, und nach Hunderten zählen die Bräute, denen si durch Vermittelung der Aussteuer das Eheglück begründen half. Eine Hohepriesterin echtjüdischen Wohlthuns in allen jenen Bethätigungen, hat die Verklärte namentlich auf dem Gebiete der Hachnassath Kallah [Unterstützung für Bräute] und der Hachnassath Orchim [Gastfreundschaft] wahrhaft Bewundernswerthes vollbracht. Die ungetheilte Liebe und Verehrung, welche der Verblichenen entgegengebracht wurde, gab sich bei dem am Dienstag stattgehabten Leichenbegängnisse ergreifend kund. Aus den Nachbargemeinden Oedenburg, Mattersdorf, Deutsch-Kreutz, etc. hatten sich an der Spitze größerer Deputationen die Rabbiner, bez. die Rabbinats-Assessoren eingefunden.