Fürst Emilie – 02. Februar 1905

Fürst Emilie – 02. Februar 1905

Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt

Emilie (Sara Mirl Chaja) Fürst, 27. Schvat 665 (= Donnerstag, 02. Februar 1905)

Standortnummer: 633

  • Grabstein Fürst Emilie - 02. Februar 1905

    Foto 1993

  • Grabstein Fürst Emilie - 02. Februar 1905

    Foto 2016

 

Die Grabinschrift

Inschrift Emilie Fürst: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] H(ier liegt) b(egraben) פ”נ‎‏‏
[2] die wohltätige Frau, auserwählt unter Tausenden, האשה הצדקת דגולה מרבבה, ‎‏‏
[3] in ihren Eigenschaften erhaben, die fähigste Mutter, ‎במעלותיה נשגבה, האם המסגלה,
[4] die glücklich zu preisende Tochter, die Beste unter den Frauen הבת המאשרה, הטובה בנשים ‎‏‏
[5] die Bescheidene und Gütige, weisen Herzens הצנועה והחסודה, חכמת לב ‎‏‏
[6] und edlen Geistes, die Rabbinersgattin ויקרת רוח, הרבנית ‎‏‏
[7] Frau Sara Mirl Cha(ja), a(uf ihr sei) F(riede), מרת שרה מירל חי’ ע”ה‎‏‏
[8] Tochter des ver(ehrten Herrn), L(ehrers) u(nd) R(abbiners), des MORENU Schalom Kutna, s(ein Licht) m(öge leuchten), בת אמו”ר מוה’ שלום קוטנא נ”י ‎‏‏
[9] des hiesigen Rabbiners, הרב דפה ‎‏‏
[10] und Ehefrau des Rabbiners, des MORENU Jesaj(a) Fürst, s(ein Licht) m(öge leuchten), ואשת הרב מוי’ ישעי’ פירסט נ”י ‎‏‏
[11] Rabbiner der Israel-Gemeinde Schiffschul in der R(esidenz)s(tadt) Wien. רב דעדת ישראל שיפפשול בע”מ וויען ‎‏‏
[12] Sie starb in g(utem) R(uf), gepriesen in aller Munde im Alter von 48 Jahren מתה בש”ט מהוללת בפי כל בת מח שנים ‎‏‏
[13] am Donnerstag, dem 27. Schvat 665 n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung). ביום ה זך שבט תרסה לפ”ק ‎‏‏
[14] Die Frommen, die die Tora ehren und ihr dienen, אנשי חסד מכבדי תורה ועובדיה ‎‏‏
[15] ihre engsten Verwandten und alle, die sie kennen, weinen bitter. קרובי נפשה וכל יודעיה מר יבכיון. ‎‏‏
[16] Sie wurde hierher gebracht von einer großen Menschenmenge והובלה הנה ברב עם ‎‏‏
[17] auf dem Weg ins Tal der Tränen. מסעי דרך לעמק הבכא, ‎‏‏
[18] Am Ort des Kummers wird sie liegen bei ihrer Mutter. למעצבה תשכב אצל אמה, ‎‏‏
[19] Sie wurde begraben mit Wehklagen und Trauerliedern ונקברה בהספד נחי וקנה ‎‏‏
[20] von ihrem Vater, ihrem Ehemann und ihren Kindern. מאביה בעלה ובניה, ‎‏‏
[21] An diesem Tag lernten sie, um die Trauer zu verringern, ויומא קא גריס למעט בהספד ‎‏‏
[22] am 1. N(eu)m(ond)t(ag) Adar I 665 n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung). ביום א דר”ח אדר ראשון תרסה לפ”ק ‎‏‏
[23] I(hre) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). תנצבה ‎‏‏
 

Anmerkungen

Zeile 2: Vgl. Hohelied 5,10 “(Mein Geliebter …) ausgezeichnet unter Tausenden” …דגול מרבבה.

Zeile 5: Exodus 35,25.35 וכל אשה חכמת לב, חכמת לב.

Mit Bezug zu Zeile 2: Babylonischer Talmud, Traktat Schabbat 53b צנועה אשה.

Zeile 6: Sprüche 17,27 וקר (ק: יקר) רוח.

Zeile 8 und 10: MORENU bedeutet wörtlich “u(nser) L(ehrer), H(err)”. Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als “synagogaler Doktortitel” (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).

Zeilen 10 und 11: S.u. biografische Notizen.

Zeile 12: Vgl. Babylonischer Talmud, Traktat Berachot 17a “…Heil dem, der … mit gutem Namen gestorben ist …” …אשרי שנפטר בשם טוב…; vgl. auch babylonischer Talmud, Traktat Avot II,8 “…hat er einen guten Namen erworben, hat er etwas für sich erworben”. Der gute Name kommt im Gegensatz zu allen anderen geistigen und sittlichen Gütern fast ausschließlich dem Besitzer zugute und bleibt auch nach dem Tod sein eigen (Hirsch Samson Raphael, Siddur. Israels Gebete, Zürich-Basel 1992, 443); s. auch Avot IV, 7 “… Drei Kronen gibt es: die Krone der Tora, die Krone des Priestertums und die Krone des Königtums; die Krone des guten Namens aber erhebt sich über sie” ‎‏‏ … שלשה כתרים הן: כתר תורה וכתר כהונה וכתר מלכות: וכתר שם טוב עולה על גביהן.

Zeile 13: Die Umstellung der hebräischen Buchstaben, die den Todestag bezeichnen, wurde offensichtlich vorgenommen, um das Wort “lauter, rein” zu assoziieren, vgl. bes. auch Anmerkung zu Zeile 7 bei der Grabinschrift von R. Meir Eisenstadt.

Zeile 15: Jesaja 33,7 מר יבכיון.

Zeile 16: Sprüche 14,28 ברב עם.

Zeile 17: Psalm 84,7 בעמק הבכא.

Zeile 18: Jesaja 50,11 למעצבה תשכבון; wörtlich: “Ort der Qualen”.

Zeile 21: Vgl. babylonischer Talmud, Traktat Schabbat 156b “… Einst saß er (R. Nachman ben Isak) unter einer Dattelpalme und studierte…” …יומא חד יתיב קא גריס תותי דיקלא…. In der Inschrift wird – wie im talmudischen Zitat – der Singulat des Verbs גריס verwendet.

הספד meint die öffentlich(e) (gezeigte) Trauer(feier) im Unterschied zum eigentlichen Trauergefühl, dessen Ausmaß etc. nicht vorgeschrieben werden kann; s. bes. babylonischer Talmud, Traktat Taanit 18a, Megilla 5b sowie weiters Rosch Haschana 25a, Mo’ed Qatan 21b u.a. Hier wurde הספד nicht als terminus technicus “Trauerrede”, sondern kontextbedingt wörtlich wiedergegeben.

 

Biografische Notizen

Emilie (Sara Mirl Chaja) Fürst, “Rabbinersgattin”, geb. 13. Februar 1857 in Kaposvar (Ungarn), zuständig nach Kostel (Mähren), gest. in Wien an Lungentuberkulose, überführt nach Eisenstadt am 04. Februar.

Matriken Tod Emilie Fürst, geb. Kutna

Matriken Tod Emilie Fürst, geb. Kutna, Eintrag Wien

 

Vater: Salomo (Schalom) Kutna, gest. 07. Februar 1909
Mutter: Katharina (Sara Gütel) Kutna, geb. Fischer, gest. 01. November 1903

 

Bruder: Gabriel Kutna, gest. mit 19 Jahren am 17. Juni 1874, begraben am älteren jüdischen Friedhof Eisenstadt.

 

Ehemann: Sigmund (Jesaja) Fürst, Rabbiner und in der Zwischenkriegszeit Oberrabbiner der “Schiffschul”, gest. 1943 in London.

Nach dem Abbruch des Lazenhofes im Jahr 1848 als “Ankerschul” in der Ankergasse (heute Hollandstraße 3) von orthodoxen ungarischen und polnischen Juden gegründet, übersiedelte die “Schiffschul” 1864 in die Große Schiffgasse 8, wo dem Bethaus u.a. ein Lehrhaus, Religionsschule, Mazzotbäckerei und 10 Fleischverschleißstellen angegliedert waren. Zur Erhaltung dieser Institutionen wurde 1897 der Verein “Adass Jisroel” gegründet. Bis 1938 blieb die Schiffschul” ein Zentrum der Orthodoxie (Genée P., Wiener Synagogen 1825 – 1938, Wien 1987, 38, 61).

Der erste Rabbiner der Schiffschul war Salomon Spitzer, ein Schwiegersohn des berühmten Preßburger Rabbiners Chatam Sofer, des Begründers der modernen Ultraorthodoxie… In der Schiffschul wirkte nach dem Tod Spitzers 41 Jahre lang Rabbiner Jesaia Fürst, ein Absolvent der Jeschiwa des Chatam Sofer in Pressburg. Er war vor seinem Ruf nach Wien Rabbiner der beiden ungarischen Trennungsgemeinden von Tyrnau und Eperjescz, weiters Vorsitzender des Rabbinischen Rates der Aguda für Österreich sowie Mitglied des 17-köpfigen Großen Rabbinischen Rates der Aguda. 1938 flüchtete er nach London, wo er im Alter von 89 Jahren 1943 starb.

Evelyn Adunka, Die Orthodoxie, in: Frank Stern und Barbara Eichinger (Hg), Wien und die jüdische Erfahrung. 1900-1938. Akkulturation – Antisemitismus – Zionismus, 138f

 

Söhne:

Arnold (Mose Aaron) Fürst, geb. 22. November 1878 in Eisenstadt, gest. 04. August 1912 in Wien

Theophil Fürst, geb. 11. August 1899

Material und Maße des Grabsteins

Granit, 177/61/29

 

Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt

 

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