Über das Waschen der Hände

Über das Waschen der Hände

Eines der schönsten, wertvollsten und interessantesten Objekte unserer Dauerausstellung ist das aus der Judaica-Sammlung Sándor Wolfs stammende Handwaschbecken.

Das Handwaschbecken, eine typische Jugendstilarbeit, unter Verwendung islamischer Ornamentik, dürfte wohl für den synagogalen Gebrauch bestimmt gewesen sein. Aus welcher Synagoge es stammt, lässt sich nicht mehr feststellen.

Synagogales Handwaschbecken, vermutlich Bezalel, 1910
Synagogales Handwaschbecken, vermutlich Bezalel, 1910; Dauerleihgabe des Landesmuseums Burgenland, Inv.Nr.: 53.223

 

Material(ien): Messingblech, Glasfluss gefasst, gedrückt, getrieben, punziert, gegossen.
Hergestellt: um 1910, vermutlich Bezalel
Höhe: 63 cm, Breite: 40 cm, Tiefe: 24 cm [1].

Auf der oberen Seite des Handwaschbeckens befinden sich die beiden Gesetzestafeln mit den Anfangsworten bzw. -buchstaben der 10 Gebote, flankiert von zwei Löwen, an den beiden Seiten jeweils eine Hirschkuh. Sowohl der Löwe, das Wappentier des Stammes Juda, als auch die Hirschkuh, das Wappentier des Stammes Naftali, repräsentieren ganz allgemein das Judentum. Vor allem die in Jagdszenen gerne als gejagtes Tier dargestellte Hirschkuh ist die in Sprüche Kapitel 5, Vers 19 genannte Geliebte, die zum Symbol für das trotz aller Verfolgungen Gott die Treue haltende Judentum wird.

Unmittelbar über dem eigentlichen Becken findet sich in vier Zeilen der Segensspruch über das Händewaschen in hebräischer Sprache und Schrift.

בּרוּך אתה ה’ אלהינוּ
מלך העולם אשר קדשנוּ
בּמצותיו וצונוּ על
נטילת ידים

Die Übersetzung lautet:

Gesegnet seist Du, Gott, unser Herr, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt und uns auf das Waschen der Hände verpflichtet hat.

Da es eher ungewöhnlich ist, dass sich dieser Segensspruch auf einem Handwaschbecken, das für den synagogalen Gebrauch bestimmt ist, findet, soll hier näher auf Bedeutung und Verwendung dieses Segensspruches eingegangen werden.

 

Gesegnet seist Du, Gott, unser Herr, König der Welt

Als Segensspruch im eigentlichen Sinn wird der ‒ meist standardisierte ‒ ausgesprochene Segen, näherhin jener, mit dem die Menschen Gott loben und danken, bezeichnet. Diese Segenssprüche werden hebräisch ›Brachot‹ (Singular: ›Bracha‹) genannt und dürfen als Kernelement des jüdischen Gebetes bezeichnet werden. Denn es sind die Segenssprüche, die den Menschen zur richtigen Gottesfurcht führen, wie es im Traktat Menachot 43b des babylonischen Talmud zur Stelle 5. Buch Mose, Kapitel 10, Vers 12:

Und nun, Israel, was fordert der Herr, dein Gott, von dir …« heißt: »Rabbi Meir sagte: Der Mensch ist verpflichtet, täglich hundert Segenssprüche zu sprechen …

Die Vorschrift, täglich hundert Segenssprüche zu sprechen, finden wir auch im Schulchan Aruch (›gedeckter Tisch‹), dem für das orthodoxe Judentum maßgeblichen Gesetzeskodex des Josef ben Ephraim Karo (Erstdruck 1565), wo es heißt:

Der Mensch ist verpflichtet, jeden Tag wenigstens hundert Brachot zu sprechen; der König David hat dies angeordnet ….

Kizzur Schulchan Aruch, Basel 1978, I, Kapitel 6, § 7

Die jüdische Religion kennt drei Arten dieser Segenssprüche:

  1. jene, die vor Erfüllung einer religiösen Pflicht (hebr. ›mitzwa‹) gesprochen werden,
  2. die sogenannten Genuss-Brachot, also Segenssprüche, mit denen wir Gott für alle Dinge, die uns gut tun und die wir von ihm erhalten haben (z. B. Brot und Wein oder die Tora) danken, sowie
  3. Segenssprüche, die reine Lobpreisungen oder Danksagungen sind.

Gemeinsam allen drei Segenssprüchen sind jeweils die direkte Anrufung Gottes (Gott, unser Herr) sowie die ausdrückliche Nennung seiner Eigenschaft als Herrscher der Welt (König der Welt).

Der Segensspruch auf dem Handwaschbecken ist der erste der morgendlichen Segenssprüche und wird täglich nach den ersten Versen des Morgengebetes gesprochen. Unmittelbar auf diesen Segensspruch folgt ein Segensspruch der 2. Art (s. o.), mit dem Gott als Schöpfer des Menschen und als ›Arzt alles Fleisches und Wunder vollbringend‹ gelobt wird. Während diese ersten beiden Segenssprüche im Morgengebet Gott für die Existenz des Menschen generell danken, folgen danach mehrere Segenssprüche, mit denen Gott für die Gabe der Tora gedankt wird bzw. solche über die ›mitzwot‹, also die Verpflichtung(en), sich der Tora zu widmen sowie eine Gruppe von Segenssprüchen, mit denen der Mensch Gott dankt, dass er ihm die 613 Ge- und Verbote erteilt hat und schließlich mehrere Segenssprüche über Dinge, die dem Menschen guttun.

Da dieser Segensspruch über das Waschen der Hände eben schon zu Hause während des Morgengebetes als erster Segensspruch des ganzen Tages gesagt wird, gilt er als für den ganzen Tag gesagt und muss in der Synagoge eigentlich nicht mehr wiederholt werden.

Das Vorhandensein des Segensspruches auf unserem Objekt ist auch der Grund, warum man grundsätzlich auch an ein Handwaschbecken für den häuslichen Gebrauch denken könnte. Dagegen und doch für ein Handwaschbecken für den synagogalen Gebrauch spricht aber die Größe des Beckens und die Tatsache, dass wir doch öfter auch auf älteren Handwaschbecken für den synagogalen Gebrauch (19. und frühes 20. Jahrhundert), vornehmlich aus dem Osten, sehr wohl den Segensspruch finden.

Da kam die Zeit wo die Abendmahlzeit gehalten wird, alle standen auf um sich zu waschen, und die schöne Sara holte das große, silberne, mit getriebenen Goldfiguren reichverzierte Waschbecken, das sie jedem der Gäste vorhielt, während ihm Wasser über die Hände gegossen wurde. Als sie auch dem Rabbi diesen Dienst erwies, blinzelte ihr dieser bedeutsam mit den Augen, und schlich sich zur Türe hinaus. Die schöne Sara folgte ihm auf dem Fuße; hastig ergriff der Rabbi die Hand seines Weibes, eilig zog er sie fort, durch die dunklen Gassen Bacherachs, eilig zum Tor hinaus, auf die Landstraße, die den Rhein entlang nach Bingen führt.

Heinrich Heine, Der Rabbi von Bacherach, insel taschenbuch, Frankfurt/Main (1)1985, 22

 

… der uns durch seine Gebote geheiligt und uns auf das Waschen der Hände verpflichtet hat

Das Händewaschen selbst diente so wie alle anderen Reinigungsbräuche ursprünglich wohl der Abwehr von Dämonen und hatte im heißen Orient naheliegender Weise auch hygienische Gründe. Man wusch und/oder badete sich vor einem Besuch bei einem Höhergestellten, insbesondere natürlich, wenn man vor Gott erschien, um ein Opfer darzubringen (1. Buch Mose, Kapitel 35, Vers 2; 2. Buch Mose, Kapitel 30, Verse 19-21). Das Händewaschen als ausdrücklich genanntes Ritual vor und nach dem Essen findet sich erst im Neuen Testament (Matthäus, Kapitel 15, Vers 2 u. a.) sowie im Traktat Chullin des babylonischen Talmud 105a:

Das Waschen vorher und nachher ist Pflicht, das in der Mitte [also zwischen zwei Speisen, Anm. d. V.] ist freigestellt.

Heute wird der Segensspruch über das Waschen der Hände auch vor dem Essen von Speisen mit Brot verwendet, nach dem Essen müssen die Hände gewaschen werden, jedoch immer ohne Segensspruch:

… wenn das Brot die Größe eines Eies hat, sagt er Bracha über das Waschen; bei weniger als dies sagt er keine Bracha über das Waschen.

Kizzur Schulchan Aruch, Basel 1978, I, Kapitel 40, § 1

Später wurden die Vorschriften, die Hände zu waschen, auf andere Bereiche ausgedehnt, so nach dem Verrichten der Notdurft, dem Schneiden und Reinigen der Nägel, nach dem Besuch des Friedhofes, vor dem Beten etc.

Das Händewaschen morgens nach dem Erwachen hat außer der Gesundheit schätzenden Sauberkeit noch die Bestimmung, unsere Hände, und durch sie unser ganzes leibliches Wesen, das im Schlaf nur ein physisches Dasein hatte, für ein Gott dienendes tätiges Leben zu weihen. Ähnlich wie der Priester sich durch Händewaschen (2. Buch Mose, Kapitel 30, Vers 20) zum heiligen Tempeldienst zu weihen hatte.

Hirsch Samson Raphael, Israels Gebete, Basel 1992, 6

Hebräisch heißt dieses ›Händewaschen‹ נטילת ידים ›netilat jadajim‹, womit eigentlich ein Heben der Hände, nämlich

aus der niederen, bloß physischen Natur zu ihrer höheren sittlichen Bestimmung

Hirsch Samson Raphael, Israels Gebete, Basel 1992, 6

angedeutet sein soll (hebräische Wortwuzel נטל ›ntl‹). Damit geschieht mit dem Händewaschen schon konkrete Vorbereitung auf den beginnenden Gottesdienst. Lau leitet das Wort ›netila‹ vom aramäischen Wort ›natla‹ ›Gefäß‹ her und sieht darin die Aufforderung, dass das Händewaschen

nur mit einem mit sauberem Wasser gefüllten Gefäß vorgenommen werden muss…

Lau Israel Meir, Wie Juden leben. Glaube, Alltag, Feste, Gütersloh (4)1997, 7

Das vorliegende Handwaschbecken dient(e) zum Waschen der Hände vor und nach dem Synagogenbesuch, der Segensspruch wird jedoch, da schon am Morgen geschehen, nicht gesprochen:

Man soll vor dem Gebet die Hände bis zum Gelenk mit Wasser waschen (Rambam). Darum, wenn man auch seine Hände am Morgen gewaschen hat …, wenn man nachher mit den Händen irgendeine unsaubere Stelle berührt hat, das sind die Stellen, die beim Menschen bedeckt sind, an denen sich Schweißkügelchen vorfinden, oder wenn man den Kopf gerieben oder wenn man sie am Morgen nicht bis zum Gelenk gewaschen hat, muss man sie vor dem Gebet nochmals waschen. Wenn man kein Wasser hat, muss man sich danach bemühen, vier Mil (18 Minuten gleich ein Mil) weiter zu gehen (wohin man doch gehen wollte) oder ein Mil zurück. Wenn man aber fürchtet, inzwischen könnte die Zeit des Gebetes vorübergehen, reinige man seine Hände an einer Erdscholle oder mit Staub oder jeder Sache, die reinigt, und bete: ›denn es heißt (Psalm, Kapitel 26, Vers 6), ich wasche in Reinheit meine Hände … ich wasche mit Wasser, wenn es möglich ist, und wenn nicht, in Reinheit, mit jeder Sache, die reinigt‹.

Kizzur Schulchan Aruch, Basel 1978, I, Kapitel 12, § 5

 

[1] Die Bezalel-Akademie für Kunst und Design wurde 1906 vom Bildhauer und Maler Boris Schatz (1867-1932) in Jerusalem gegründet, bereits 1911 studierten etwa 460 Studenten an ihr. Sie wurde 1932, nach dem Tod Schatz's geschlossen und 1935 unter dem Maler und Graphiker Joseph Budko (1888-1940) als ›New Bezalel‹ wiedereröffnet. Für die kunsthistorische Analyse des Handwaschbeckens danke ich Frau Dr. Felicitas Heimann-Jelinek, Wien. [Zurück zum Text (1)]

 

Erstpublikation als Printversion: Johannes Reiss, Über das Waschen der Hände, in: Forscher ‒ Gestalter ‒ Vermittler. Festschrift Gerald Schlag, hrsg. von Wolfgang Gürtler und Gerhard Winkler, (WAB) Band 105, Eisenstadt 2001, 357-361.

Der Blogartikel ist eine überarbeitete Version des gedruckten Artikels.

 

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