Dieser Artikel war ursprünglich die 6. Podcastfolge, die ich während meiner Zeit im Österreichischen Jüdischen Museum in Eisenstadt am 17. September 2020 publizierte. Die Podcastreihe “Koscher Schmus” wird auf “Der Transkribierer” nicht fortgeführt, die von mir erstellten Podcasts werden jedoch als Artikel zur Verfügung gestellt.
Heute geht es um die Zeitrechnung, und zwar aus aktuellem Anlass. Denn in zwei Tagen, heuer am 19. September, ist der 1. Tischre im jüdischen Kalender und damit jüdisches Neujahr, Rosch ha-Schana. Am 10. Tischre, heuer am 28. September, folgt dann der große Versöhnungstag, Jom Kippur, der höchste Fast- und Bußtag im jüdischen Kalender. Sowohl Rosch ha-Schana als auch Jom Kippur gehören zu den höchsten jüdischen Feiertagen, die Tage vom 1. bis zum 10. Tischre werden auch die Jamim Nora’im, die ehrfurchtserweckenden Tagen.
Nun, am 19. September, dem 1. Tischre, beginnt also das neue jüdische Jahr, das Jahr 5.781. Wie kommt es aber zu dieser Zahl, zu dieser Zählung? Der heute verwendete jüdische Kalender, dem traditionell die Zählung nach der Erschaffung der Welt zugrunde liegt, wird zwar dem Patriarchen Hillel II. im 4. Jahrhundert nach der Zeitrechnung zugeschrieben, mit Sicherheit besteht er aber erst seit dem 9. oder 10. Jahrhundert.
Da dies kein Mathematik- oder Astronomie-Referat ist, erspare ich mir und Ihnen die ziemlich komplizierten Rechenschritte und beschränke mich auf das Ergebnis: Die jüdische Zeitrechnung beginnt am Sonntag, dem 6. Oktober 3761 vor unserer Zeitrechnung (genau um 23 Uhr 11 Minuten und 20 Sekunden). Addieren wir also 5.781 (das neue jüdische Jahr) zu minus 3.761 erhalten wir eben (das bürgerliche Jahr) 2021. Ein wenig einfacher ist es wohl, wenn wir uns schlicht das bürgerliche Jahr 1239 bzw. 1240 für das jüdische Jahr 5000 merken und dann nur mehr die Hunderter, Zehner und Einer addieren.
Warum sage ich aber 1239 bzw. 1240? Vorsicht ist nämlich geboten, weil das jüdische Jahr immer im Herbst des bürgerlichen Jahres beginnt. So ist zum Beispiel das heurige bürgerliche Jahr 2020 bis zum 1. Tischre (heuer eben der 7. September) das jüdische Jahr 5780 und ab dem 7. September das jüdische Jahr 5.781.
Wollen wir nun ein bürgerliches Jahr in ein jüdisches Jahr umrechnen, ist dieses von Jänner bis Rosch Haschana (heuer also 19. September) immer die Differenz zwischen bürgerlichem Jahr und dem Jahr 1240 (2020 – 780 = 1240), von Rosch Haschana (also dem neuen jüdischen Jahr) bis zum Ende des bürgerlichen Jahres (31. Dezember) immer die Differenz zwischen bürgerlichem Jahr und dem Jahr 1239 (2020 – 781 = 1239). Und ab 1. Jänner rechnen wir wieder 2021 – 781 = 1240.
In der Tat wird oft das jüdische Jahr ohne Tausender angegeben, also etwa ohne den 5er für 5000. Wir schreiben also nicht 5.781 sondern nur 781. In diesem Fall schreibt man meist nach der Jahreszahl die drei hebräischen Buchstaben Lamed, Pe und Kof, die die Bedeutung “nach der kleinen Zeitrechnung” haben, was soviel heißt wie “ohne Tausender”.
Fehlt noch klarzustellen, dass die Zahlen, die Jahreszahlen im Hebräischen immer und praktisch ausschließlich mit hebräischen Buchstaben, denen Zahlenwerte entsprechen, geschrieben werden. Die Zahlenwerte werden addiert um das jüdische Jahr zu erhalten.
Man schreibt also die Jahreszahlen (aber auch die Tage im Monat usw.) immer mit hebräischen Buchstaben. Wir schreiben also nicht 1781 (als Zahl), sondern die hebräischen Buchstaben, die jene Zahlenwerte haben, die die Zahl 1781 ergeben… Von 1-10, dann die Zehner bis 100 und dann noch 200, 300 und 400.
Die Zahlenwerte werden schließlich addiert, um das jüdische Jahr zu erhalten, z.B. Taw, Schin, Pe und Alef. So hat der hebräische Buchstabe Taw den Zahlenwert 400, Schin = 300 = 700, Pe = 80 und Alef = 1, ergibt 781 oder auch 5.781, das neue jüdische Jahr, das in zwei Tagen beginnt.
Der heute verwendete jüdische Kalender ist eine Mischung von Mond- und Sonnenkalender, ein sogenannter luni-solarer Kalender. Zunächst orientieren sich die Monate im jüdischen Kalender ja nach den Mondphasen. Da ein Mondmonat etwa 29 Tage und 12 Stunden hat, gibt es Monate mit 29 Tagen und Monate mit 30 Tagen. Der Neumondtag (hebräisch Rosch Chodesch) ist ein Halbfeiertag und Monaten mit 29 Tagen folgt ein Neumondtag, nämlich der 1. Tag des nächsten Monats, bei Monaten mit 30 Tagen gibt es 2 Neumondtage, den 30. (des „alten“ Monats) und den 1. Tag des Folgemonats. So hat der jüdische Kalender 5 bzw. in einem Schaltjahr 6 Monate mit 30 Tagen und 2 Neumondtagen, 5 Monate mit 29 Tagen und 1 Neumondtag und 2 Monate (nämlich die im Herbst aufeinanderfolgenden Monate Kislew und Tewet) haben manchmal 29 Tage und 1 Neumondtag und manchmal 30 Tage und 2 Neumondtage.
Den 12 Monaten entsprechen 12 Sternbildern. Einer der bekanntesten Tierkreise, einen sehr farbenfroh und ausdrucksstark gestalteten etwa findet sich in der aus dem 6. Jahrhundert stammenden und schon Mitte des 8. Jahrhunderts zerstörten Synagoge von Bet Alpha im Norden Israels.
Der Neumondtag wird am 1. Tischre nicht gefeiert, er weicht sozusagen Rosch Haschana, dem Neujahrstag. Ein Jahr, das also die Monate in der Abfolge 1 Monat 30 Tage, das nächste 29, dann wieder 30 Tage usw. hat, nennen wir reguläres Gemeinjahr und es hat 354 Tage. Die Einigung auf 29 und 30 Tage ist ohnehin schon ein Kompromiss, genau genommen eine Auf- bzw. Abrundung des Mondmonats mit 29 Tagen und etwas mehr als 12 Stunden. Diese Rundung bewirkt aber, dass dieses reguläre Gemeinjahr mit 354 Tagen um ca. 8 Stunden zu kurz ausfällt, was dadurch ausgeglichen wird, dass man alle 3 Jahre dem Monat Marcheschwan (im Herbst) einen zusätzlichen Tag gibt, also der Marcheschwan dann statt 29 eben 30 Tage hat. Ein solches Jahr zählt dann eben nicht 354, sondern 355 Tage und wird überzähliges (oder übermäßiges) Jahr genannt. Im Gegensatz dazu ist ein mangelhaftes (oder vermindertes) Jahr ein Jahr, in dem der Monat Kislew einen Tag weniger erhält, nur 29 Tage und das Jahr also dann 353 Tage hat.
Warum aber ist der jüdische Kalender nun ein luni-solarer Kalender, eine Mischung von Mond- und Sonnenkalender? Das Sonnenjahr zählt etwa 11 Tage mehr als das Mondjahr, nämlich Sonnenjahr mit 365 ¼ Tagen zu Mondjahr mit 353 – 355 Tagen. Diese beiden Jahre (Sonnen- und Mondjahr) müssen sozusagen aneinander angepasst werden, damit die einzelnen Feste nicht „wandern“ und im Laufe der Zeit zu den verschiedensten Jahreszeiten gefeiert werden müssten. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil einige jüdische Feste landwirtschaftlichen Ursprung haben und daher an gewisse Jahreszeiten gebunden sind (etwa das Laubhüttenfest „Sukkot“, ursprünglich ein Erntedankfest, später dann eines der 3 Wallfahrtsfeste). Dieses Anpassen erfolgt mithilfe eines Schaltmonats, konkret werden im Laufe eines Zyklus von 19 Jahren sieben Jahre mit 13 (statt mit 12) Monaten bestimmt und diese 13-monatigen Jahre sind also die Schaltjahre des jüdischen Kalenders, die entweder 383, 384 oder 385 Tage zählen. Eingeschoben wird im 3., 6., 8., 11., 14., 17. und 19. Jahr der Monat Adar (im Frühjahr), sodass es in diesen Schaltjahren dann 2 Monate Adar gibt, Adar I und Adar 2 oder Adar Alef und Adar Bet (auch We-Adar genannt). Eingeschoben wird übrigens immer der Adar I, der in einem Schaltjahr aber 30 Tage und nicht 29 Tage hat wie in einem Gemeinjahr.
Auch bei den Schaltjahren gibt es die regelmäßigen Schaltjahre mit 384 Tagen, die überzähligen mit 385 Tagen und die mangelhaften Schaltjahre mit 383 Tagen.
Da in zwei Tagen Rosch Haschana, jüdisches Neujahr ist und das jüdische Jahr 5781 beginnt, sei noch eine Besonderheit des jüdischen Kalenders erwähnt: die sogenannten Vertagungen. Die wichtigste Vorschrift ist, dass Rosch Haschana nie am 1., 4. oder 6. Wochentag beginnen soll, also der 1. Tischre nie auf einen Sonntag, Mittwoch oder Freitag fallen darf. Es gibt mehrere Gründe für diese Vorschrift, etwa, dass sonst der Versöhnungstag, der Jom Kippur auf einen Freitag oder Sonntag fiele und damit unmittelbar vor oder nach dem Schabbat läge, und damit 2 heilige Tage aufeinanderfolgen, was die Ausübung der religiösen Pflichten sehr erschweren würde. Das Merkwort übrigens für diese Vorschrift ist ROSCH ADULO, also ROSCH für ROSCH HASCHANA, A Alef, der erste Buchstabe des Alefbets mit dem Zahlenwert 1 = Tag 1, also Sonntag, D Buchstabe Dalet mit dem Zahlenwert 4 = Tag 4, also Mittwoch und U Buchstabe Waw mit dem Zahlenwert 6 = Tag 6, also Freitag und LO heißt „nicht“, also dass Rosch Haschana nicht auf einen Sonntag, Mittwoch oder Freitag fallen darf. Wahrscheinlich gibt es aber handfeste astronomische Überlegungen für die Vertagungen und nicht religiöse Gründe wie den angeführten…
Das Jahr 5781, das in zwei Tagen beginnt, ist von seinem Charakter her ein sehr seltenes Jahr. Es ist ein sogenanntes SACHA-Jahr, geschrieben mit den hebräischen Buchstaben Sajin, Chet und Alef (זחא). Ein Jahr, in dem Rosch ha-Schana auf den Schabbat fällt. Sajin hat den Zahlenwert 7, der 7. Tag der Woche ist der Schabbat. Chet steht für das hebräische Wort „chaser“, was bedeutet, dass das Jahr mangelhaft, vermindert ist, also nur 353 Tage hat. Und Alef hat den Zahlenwert 1, was zeigt, dass das Pesachfest in diesem neuen jüdischen Jahr auf den Tag 1, also auf einen Sonntag fällt.
Es sind 2 Monate, die in der Tora besonders häufig erwähnt werden: Der Nisan, der Ährenmonat im Frühjahr, in den das Pesachfest fällt und der als der 1. Monat im Jahr bezeichnet wird. So gilt auch der 1. Nisan als religiöser Jahresbeginn (nach 2. Buch Mose 12,2). Der Monat Tischre hingegen ist der 7. Monat des Kalenders, der Erntemonat. Heute wird praktisch immer der 1. Tischre „Rosch Haschana“ (wörtlich: Kopf des Jahres) als – quasi bürgerliches jüdisches – Neujahr bezeichnet. Das Fest Rosch Haschana ist selbstverständlich auch mehrfach biblisch bezeugt.
Kalenderfragen haben natürlich immer, auch im jüdischen Kalender, vor allem mit Mathematik, mit Astronomie, mit Berechnungen zu tun. So lässt sich das Datum des Pesachfestes am 15. Nisan für jedes beliebige Jahr nach der 1802 entstandenen Pesachformel des berühmten deutschen Mathematikers Carl Friedrich Gauß berechnen und den Charakter eines jüdischen Jahres (ob vermindert, regulär, übermäßig, Gemein- oder Schaltjahr) sowie die Wochentage des Neujahrs- und Pesachfestes berechnen wir mit der Formel des polnischen Schriftstellers und Journalisten Chajim Slonimski (1810 bis 1904).
Ganz ohne Rechnungen und Berechnungen wünsche ich Ihnen ein glückliches und gesundes neues Jahr 5781, gmar chatima tova!
Basnizki Ludwig, Der jüdische Kalender. Entstehung und Aufbau. Jüdischer Verlag, Frankfurt 1998.
Die Mathematik des jüdsichen Kalenders (pdf).
Jewish / Hebrew Date Converter (Chabad.org).