Heute ein Ausflug in den Süden, nach Rechnitz. Natürlich über den Geschriebenstein. Es ist dies der höchste Berg im Burgenland und Westungarns. Auf seinem Gipfel befindet man sich genau an der österreichisch-ungarischen Grenze. Abe das eigentlich Traurige war, dass ich nach 39 Jahren Burgenland nicht wusste, warum der Geschriebenstein Geschriebenstein heißt. Weil er, so lesen wir, die niedergeschriebene Grenze zwischen den Esterházys im Norden und den Batthyánys im Süden bezeichnet. Man lernt eben nie aus…
Ein paar Meter nach der Ortstafel schon die “Judengasse” rechter Hand, Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde Rechnitz, die nördlichste der jüdischen Gemeinden unter dem Schutz der Batthyánys.
Schon 1527 werden die ersten Juden erwähnt, 1649 hatten sie ihre erste Synagoge.
Nach dem amtlichen Bericht des kaiserlichen Hauptmannes Ferdinand Olischer von Ehrenfels vom Jahre 1677 halten sich in der Rechnitzer Herrschaft viele welsche Juden auf. Diese verkleiden sich als Christen, bekommen vom Grafen Christoph Batthyány, der ihnen Unterschlupf gewährt, Pässe, mit denen sie mehrmals im Jahre nach Venedig reisen und von dort Juwelen und Kleinode im Werte von vielen tausend Talern nach Innerösterreich einführen, ohne eine Maut oder Dreissigst zu zahlen. Nach einer solchen Abreise erhält der Graf jedesmal von diesen je 6 Reichstaler. Dies habe ein alter Jude namens Gedeon, wohnhaft in Rechnitz, erzählt.
Klein K., Geschichte der Juden in Rechnitz, in: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes, Tel Aviv 1970
Im Jahre 1850 wohnten 850 Jüdinnen und Juden in Rechnitz, die meist im Handel und im Gewerbe tätig waren
Einige Jahre davor, 1832, wurde am 10. Dezember der spätere Schöpfer des Fiakerliedes, Gustav Pick in Rechnitz geboren. Eine Gedenktafel auf seinem Geburtshaus erinnert an den berühmten Musiker und Komponist.
Nur wenige 100 Meter weiter der Kreuzstadl, die Ruine am ehemaligen Meierhof der Batthyánys, heute Symbol für eines der grausamsten Verbrechen der NS-Zeit, aber auch für die Verdrängung in den Jahren und Jahrzehnten danach. In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 wurden ungefähr 180 kranke und körperlich geschwächte ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in der Nähe des Kreuzstadls in Rechnitz ermordet und verscharrt. Bis heute läuft die Suche ergebnislos. Am kommenden Sonntag findet die jährliche Gedenkfeier statt. Siehe v.a. die Gedenkinitiative RE.F.U.G.I.U.S..
Am jüdischen Friedhof am Ortsausgang gibt es heute, gemessen am doch großen Gelände wenige Grabsteine. Auf über 8.000m2 gerademal 186 Grabsteine. Schade, dass die umgeworfenen und abgebrochenen Grabsteine zum Großteil nicht an die Mauer gestellt sind, sondern lieblos übereinander geworfen wurden, mit der Inschrift nach unten, sodass kaum eine Inschrift lesbar ist. Ich kam heute nach Rechnitz, um den Grabstein eines 1819 verstorbenen Gelehrten und Rabbiners zu finden, für einen seiner Nachkommen in den USA. Leider konnte ich den Grabstein nicht finden, obwohl ich die große Hoffnung habe, dass er sich unter den Fragmenten befindet.
Obwohl wirklich viel gemacht wurde in den letzten Jahrzehnten und gemacht wird, auch in Rechnitz ist noch viel zu tun…
Update 21h: Wie ich in einem Facebookkkommentar eben erfahre, ist es geplant, die Grabsteinfragmente auch am jüdischen Friedhof von Rechnitz so aufzustellen, dass die Inschriften lesbar sind. Schöne Nachrichten, danke!
Update 21. März 17.12h: Vielen Dank an Herrn Oliver Oszwald, der mir seine wirklich qualitativ hochwertigen Fotos zur Verfügung stellte. Alle seine Fotos wurden ebenfalls am 21. März um ca. 11h aufgenommen und sind hier mit seiner Autorenschaft gekennzeichnet.