Das Kreuz mit dem Kreuz

Das Kreuz mit dem Kreuz

Dieser Artikel war ursprünglich die 7. Podcastfolge, die ich während meiner Zeit im Österreichischen Jüdischen Museum in Eisenstadt am 14. Dezember 2020 publizierte. Die Podcastreihe “Koscher Schmus” wird auf “Der Transkribierer” nicht fortgeführt, die von mir erstellten Podcasts werden jedoch als Artikel zur Verfügung gestellt.


Heute geht es sowohl um die uns häufig gestellte Frage, was die beiden hebräischen Buchstaben im Logo des Österreichischen Jüdischen Museums bedeuten als auch um einen von vielen Kommentaren zu einem Facebookposting des Museums vor einigen Wochen.

In diesem Beitrag ging es um die ehemalige jüdische Gemeinde Deutschkreutz, wo beim Abriss eines Stadels Grabsteinfragmente mit hebräischen Buchstaben gefunden wurden. Einer der Kommentare formulierte lapidar und auf Hebräisch:

Es heißt nicht Deutschkreutz, sondern ZELEM.

In meiner ebenso lapidaren Antwort verwies ich nur darauf, dass der Ortsname heute ja Deutschkreutz heißt und eben dort die Grabsteinfragmente gefunden wurden.
Na ja, jedenfalls Grund genug, um doch ein wenig über die jüdischen ‒ hebräischen, deutschjüdischen oder jiddischen ‒ Ortsnamen der ehemaligen jüdischen Gemeinden, die sich auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes befanden, nachzudenken und auch, ob das Anliegen in diesem Facebook-Kommentar, statt Deutschkreutz “Zelem” zu schreiben, am Ende sogar berechtigt sein könnte?

Beginnen wir gleich bei der in diesem Kommentar eingemahnten jüdischen Bezeichnung für die ehemalige jüdische Gemeinde Deutschkreutz, also “Zelem”.
Sehen wir uns ein wenig in der Literatur um, werden wir schnell fündig, die Erklärungen bleiben da aber immer an der Oberfläche. Da heißt es etwa auf der Website der Gemeinde Deutschkreutz:

Deutschkreutz wurde von den Juden “Zelem” genannt (bzw. Zehlem mit “h” oder “Zehlim” geschrieben), da der Name des Ortes das Wort “Kreuz” enthält, welches die Juden aus religiösen Gründen nicht aussprachen.

Oder noch eine Erklärung eher aus jüdischer Perspektive:

Deutschkreutz wurde von Juden Zelem (auch Zehlem) genannt, da der Ortsname den Begriff Kreuz enthält ‒ ein Begriff, der in der Empfindung von Juden für die brutale Unterdrückung im Römischen Reich und für die blutigen Kreuzzüge der Römisch-katholischen Kirche steht und den gläubige Talmudanhänger nicht aussprechen durften.

Mir selbst war das sehr lange nicht so richtig bewusst, bis ich vor vielen Jahren eines Tages an einem schönen Frühsommerabend in Deutschkreutz zu einem Vortrag eingeladen war und vor der Veranstaltung noch mit Interessenten auf der Gasse vor dem Veranstaltungszentrum geplaudert habe. Da kommt der Pfarrer auf mich zu, schüttelt mir die Hände und stellt sich vor mit den Worten

Guten Abend oder Hallo, ich bin der Pfarrer von Kreuz.

Und da dämmerte es mir, wenn auch reichlich spät, dass es für die Juden natürlich notwendig war, quasi eine Ersatzformulierung für ihren Wohnort zu finden… Dass “Kreuz” übrigens im Ortsnamen Deutschkreutz mit “tz” geschrieben wird, dürfen wir getrost außen vor lassen, Kreutz mit “tz” ist eine bis 1901 verwendete und heute nicht mehr korrekte Schreibweise.

Nun, selbstverständlich gibt es ein hebräisches Wort für “Kreuz”, das natürlich auch von jedermann und jederfrau ausgesprochen werden darf, und zwar “zlav” (meint nicht das Kreuz im anatomischen und musikalischen Kontext!).

Das hebräische Wort “Zelem”, der jüdische Name für Deutschkreutz, kann 3 Bedeutungen haben (die Wortwurzel “ZLM” צלם hat immer mit “Bild” zu tun):

Ebenbild. Im 1. Buch Mose 1,26 etwa lesen wir:

Lasset uns Menschen machen als unser Bild

oder in 9,6:

Gottes Ebenbild Zelem Elohim

  • “Zelem” bedeutet auch Götzenbild. In 2. Buch Könige 11,18 lesen wir

    Da zogen alle Bürger des Landes zum Baalstempel und sie brachen seine Altäre ab und zerschlugen seine Götzenbilder ganz und gar.

  • Der 3. Bedeutung begegnen wir erst in der neueren Literatur, wenn “Zelem” als Metapher verwendet wird bzw. dann v.a. aus dem Jiddischen kommt die Bedeutung “Zelem” als Wort für das Kreuz der Christen!

    Dass sich diese letztgenannte Bedeutung natürlich als Ersatz für “Deutschkreutz” anbot, liegt auf der Hand, ebenso, dass im jiddischen Wort selbstverständlich die hebräische Wortbedeutung “Götzenbild” mitschwingt.

  • “Zelem”, so nannten die Juden Deutschkreutz, aber das war nicht nur eine mündliche Überlieferung, sondern wir finden “Zelem” auch im offiziellen Briefverkehr der jüdischen Gemeinde, etwa auf ihren Gemeindesiegeln. Oder, wenn die Gemeinde in einer hebräischen Grabinschrift als Herkunftsort des Verstorbenen genannt ist, lesen wir ausnahmslos “Zelem” und natürlich nicht Deutschkreutz.

    Vergleichsweise simpel dagegen ist die jüdische Bezeichnung für die jüdische Gemeinde Eisenstadt: “ASCH”, geschrieben mit 2 hebräischen Buchstaben, dem Alef und dem Schin und zwischen den beiden Buchstaben die Abkürzungsstriche: א”ש. So finden wir den Namen nicht nur im Gemeindesiegel der jüdischen Gemeinde Eisenstadt (s.o. das Headerbild), sondern etwa auch in der hebräischen Grabinschrift des ersten Rabbiners von Eisenstadt, der 1744 starb und posthum den Namen seiner Wirkungsstätte erhielt: Eisenstadt und als “MAHARAM ASCH”, als “unser großer Meister und Lehrer Eisenstadt” zu einem der bis heute meistverehrten Rabbiner weit über die Grenzen unserer Region hinaus bekannt wurde.
    Die Abkürzungsstriche, ob im Gemeindesiegel oder in der Grabinschrift, weisen klar darauf hin, dass es sich um eine Abkürzung handelt. A(lef) für Eisen und das SCH(in) für Stadt “ASCH” = “Eisen-Stadt”.

    Eisenstadt Meir – 07. Juni 1744

     

    Nur am Rande und nur der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt, dass manchmal andere, viel kompliziertere Ableitungen angeführt werden: Dass wir nämlich über die Entwicklung der Personennamen, konkret über deren Kurzformen (etwa Ad(albert), zu dem auch Atz, Ass oder Asch gehört), zum jüdischen Namen kommen und dass die Form “ASCH” ohne Grundwort (also ASCHENSTATT) sich etwa im 13. Jahrhundert nach dem Muster sogenannter genitivischer deutscher Ortsnamen entwickelt hat (also die Stadt des Asch). Ob solche Erklärungsmodelle überzeugen können, müssen Berufenere entscheiden. Mir jedenfalls fehlt dabei nicht nur jede jüdische Komponente, sondern ich würde da auch keine Notwendigkeit für einen eigenen jüdischen Namen erkennen können , und schließlich, auch die Abkürzungsstriche zwischen den hebräischen Buchstaben Alef und Schin, die wir zumindest seit dem frühen 18. Jahrhundert belegt haben, wären nicht zu erklären.

    12 ehemalige jüdische Gemeinden liegen auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes.

    Bleibt eigentlich nur noch die Frage, warum nur 2 Gemeinden einen jüdischen Namen haben:

    “ASCH” für Eisenstadt und “ZELEM” für Deutschkreutz. Argumentieren wir bei Deutschkreutz mit religiösen Argumenten, können wir uns fragen, warum Frauenkirchen keinen jüdischen Namen hat „Jungfrau Maria“ und „Kirche“ im Ortsnamen … Ähnliches würde natürlich auch für Mattersdorf gelten, das ungarische Nagy-Marton: Groß Martin, nach dem Landespatron, dem heiligen Martin (selbstverständlich könnte man bei Eisenstadt auch den ungarischen Namen ins Treffen führen: Kismarton “Kleiner Martin” und auch religiöse Argumente anführen).


    Denkmal für die Juden von Zelem (Wikipedia).

    Grabstein/Grabinschrift Karl (Karl) Brandl aus Zelem, jüdischer Friedhof Mattersburg.

    Seder Birkat ha-Mazon, Deutschkreutz 1751.

    Website der Gemeinde Deutschkreutz.

    Zimmermann Fritz, Die Ortsnamen der jüdischen Gemeinden im Burgenland, in: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes, Tel Aviv 1970, 125-132.

     

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