Heute ist Erev Rosch haSchana. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern unserer Koscheren Melange ein glückliches und gesundes neues Jahr 5779.
שנה טובה ומתוקה, כתיבה וחתימה טובה!
Zu Rosch haSchana 5776 (2015) konnten wir unser großes Projekt zum älteren jüdischen Friedhof, zu Rosch haSchana 5778 (2017) das zum jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt fertigstellen.
Gedenkjahr 2018.
Die Familie Gellis…
Pünktlich zu Rosch haSchana 5779 sind die Geburts-, Hochzeits- und Sterbematriken von Eisenstadt 1895 bis 1938 (Geburtsmatriken aus Datenschutzgründen derzeit nur bis 1918) online gegangen.
Es wird – auch besonders in diesem Gedenkjahr – viel zu viel theoretisch und allgemein über Juden, den “Anschluss” und den Holocaust gesprochen. Die Folge ist nicht nur durch Worthülsen entstehende Beliebigkeit, sondern die Schoa droht, oft wohl bewusst intendiert, dadurch ihre Singularität zu verlieren.
Indizes sind nicht nur eine enorme Hilfe für alle genealogisch Interessierten und schlicht eine der unabdingbaren Notwendigkeiten einer effizienten und seriösen historischen Aufarbeitung der Geschichte der Juden, sondern die Indizes zu schreiben bedeutet vor allem ‒ ähnlich unserer Arbeit auf den jüdischen Friedhöfen ‒, den Juden ihre Namen und darüber hinaus noch viel mehr ihnen ihre Geschichte wiederzugeben.
Auch beim Schreiben der Eisenstädter Matrikenindizes waren wir mit Geschichten konfrontiert, die oft an die Substanz gehen:
Am 11. Juni 1938, zu einem Zeitpunkt, als die Nazis längst begonnen hatten, die Juden aus Eisenstadt und den anderen jüdischen Gemeinden des heutigen Burgenlandes abzutransportieren, beging der arbeitslose Schuhmachergehilfe Samuel (Schmuli) Gellis mit 54 Jahren Selbstmord, er erhängte sich.
Seine etwas ältere Schwester Therese heiratete 1904 Bernhard Simon. Das Ehepaar hatte 3 Kinder.
Therese Simon wurde am 06. Februar 1942 nach Riga transportiert und in der Schoa ermordet. Ihr Ehemann Bernhard Simon wurde am 23. Oktober 1941 ins Ghetto Lodz transportiert und ebenfalls ermordet.
Was mit der älteren Schwester von Samuel Gellis, Gisela, und mit seiner jüngeren Schwester Pauline geschehen ist und ob sie die Schoa überlebt haben, wissen wir leider nicht.
Beide Eltern von Samuel Gellis und seinen Schwestern, Vater Abraham Gellis, gest. 1919, und Mutter Josefine Gellis, geb. Rosenthal, gest. 1925, sind ebenfalls auf dem jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt begraben.
Auf dem jüngeren jüdischen Friedhof finden wir auch die Gräber des Großvaters und der Großmutter von Samuel Gellis und seinen drei Schwestern: Bernhard Gellis, gest. 1887, und Franziska Gellis, geb. Stroh, gest. 1905.
Und auf dem älteren jüdischen Friedhof von Eisenstadt sind der Urgroßvater, Mose Elias Gellis, gest. 1865, die Urgroßmutter, Amalia Gellis, geb. Schischa, gest. 1868 sowie der Ururgroßvater, Jakob Gellis, gest. 1858, und die Ururgroßmutter, Gütel Chaja Gellis, gest. 1843, begraben.
Der Ururgroßvater, Jakob Gellis, wird in der hebräischen Grabinschrift als Vornehmer und Toragelehrter beschrieben.
Ebenfalls auf dem älteren jüdischen Friedhof finden sich die Gräber des Urgroßvaters und der Urgroßmutter mütterlicherseits: Jakob Stroh, gest. 1856, und Rösel Stroh, gest. 1866.
Fünf Generationen Familie Gellis. 220 Jahre lebte, wohnte und arbeitete die Familie Gellis sicher und zufrieden in Eisenstadt.
Bis 1938.
Wishing you all
שנה טובה וחתימה טובה
filled with good health and happiness!
At Rosh haShana 5776 (2015) we could finish our project “Localizing the Graves in Eisenstadt’s Older Jewish Cemetery“, at Rosh haShana 5778 (2017) we were able to complete the project on the younger Jewish Cemetery of Eisenstadt.
The Commemorative Year 2018.
The Gellis family…
Just in time for Rosh haShana 5779 we could publish the indices for the birth-, marriage- and death records of Eisenstadt 1895 – 1938.
There is – especially in the commemorative year – often too theoretical talk about the Jews, the “Anschluss” and the Holocaust. As a result the Shoa is threatened to lose its singularity.
Indices are not only a tremendous help to anyone interested in genealogy, but writing indices is – similar to our work on the Jewish Cemeteries – above all about giving back jews their names and their history.
Even when writing the Eisenstadt indices, we were confronted with touching stories.
On June 11, 1938, at a time when the Nazis had long begun to deport the Jews from Eisenstadt and all other Jewish Communities of today’s Burgenland, the unemployed shoemaker’s assistant Samuel (Schmuli) Gellis committed suicide.
His slightly older sister Therese married Bernhard Simon in 1904. The couple had three children. Both Therese and Bernhard Simon were murdered in the Shoa.
Unfortunately we don’t know, what happened to the older sister of Samuel Gellis, Gisela, and his younger sister Pauline, and whether they survived the Shoa.
Both parents of Samuel Gellis and his sisters, their father Abraham Gellis, died 1919, and their mother Josefine Gellis, nee Rosenthal, died 1925, are also buried at the younger Jewish Cemetery of Eisenstadt.
There we too find the graves of the grandparents of Samuel Gellis: his grandfather Bernhard Gellis, died 1887, and his grandmother Franziska Gellis, nee Stroh, died 1905.
At the older Jewish Cemetery of Eisenstadt are buried the great-grandfather Mose Elias Gellis, died 1865, the great-grandmother Amalia Gellis, nee Shisha, died 1868, the great-great-grandfather Jakob Gellis, died 1858, and the great-great-grandmother Gütel Chaja Gellis, died 1843.
The great-great-grandfather Jakob Gellis is described in the Hebrew grave inscription as a distinguished man and Torah scholar.
Also at the older Jewish Cemetery we find the graves of the maternal great-grandfather and great-grandmother: Jakob Stroh, died 1856, and Rösel Stroh, died 1866.
Five generations of the Gellis family. For 220 years they stayed, lived and worked safely and contentedly.
Until 1938.
Ich stimme Johannes Reiss zu. Es scheint mir fast so, dass dieses Jahr ein Gedenkjahr sein muss, weil eben seit dem Anschluss 80 Jahre vergangen sind. 80 Jahre – eine sehr lange Zeit. Doch was nützt ein Gedenkjahr, wenn es an persönlicher Betroffenheit fehlt???
Die Geschichte der Familie Gellis – 5 Generationen lebten sicher in Eisenstadt und 1938 plötzlich die schreckliche Auslöschung dieser Familie – macht mich sehr betroffen, geht mir zu Herzen.
Vielen herzlichen Dank an Johannes Reiss und sein Team, durch deren überaus kostbare, mühselige Arbeit die berührende und tragische Geschichte dieser Familie nachvollziehbar, vor dem Vergessen bewahrt und dadurch persönliche Betroffenheit möglich wird.