Ganz oben rechts, in der nordwestlichen Ecke des jüdischen Friedhofes von Kobersdorf, finden wir eine Formation von Grabsteinen, die gleich auf den ersten Blick ins Auge fällt.
Etwas abgehoben, abgesetzt von den anderen Grabsteinen, befindet sich dort eine Gruppe von sehr schönen und mächtigen Grabsteinen, die zudem fast alle auffällig lange Grabinschriften haben.
Wissen wir, wem die Grabsteine gehören, mutet es an, als wäre diese Anreihung der Grabsteine in drei Reihen die Versammlung einer Großfamilie, die sich zum Gruppenfamilienfoto aufgestellt hat. Und die gleichzeitig über 160 Jahre jüdische Geschichte von Kobersdorf erzählt. Eine Geschichte, die aber noch viel weiter reicht: von der berühmten und von Rabbiner David Alt Eibnitz (geb. ca. 1775) geleiteten Jeschiva bis zum Gemischtwarengeschäft von Moses Alt, bis Auschwitz und bis ins Exil in Kanada und Israel.
Die Familie Alt
In der Mitte der drei Reihen ‒ und allein in seiner Reihe ‒ der hervorstechende Grabstein des Mose Alt, der 1924 starb und im Sterbebuch als Kaufmann, im Hochzeitsbuch (noch) als Talmudist eingetragen ist. Der Grabstein von Mose Alt symbolisiert sozusagen auch mit seinem Standort in der 2. Reihe den Übergang von den Gelehrten- und Rabbinergenerationen seiner Eltern und Großeltern (1. Reihe) hin zu der mehr bürgerlichen und zunehmend assimilierteren Generation seiner Kinder- und Kindeskinder (3. Reihe).
Denn in der ersten Reihe unserer Formation, also in der Reihe vor Mose Alt, liegen sein Vater, Rabbiner Lázár (Abraham Elieser Se’ev / Wolf) Alt und seine Mutter Josefa / Pepi / Paulina (Feierl bzw. Peierl) Alt, geb. Neumann sowie sein Großvater, der große Rabbiner David Alt Eibnitz und seine Großmutter Johanna / Hani (Chana) Alt Eibnitz, geb. Kunitz.
In der dritten Reihe, also in der Reihe hinter Mose Alt, sind zwei seiner früh verstorbenen Kinder begraben: Esther Alt, starb 1928 mit 26 Jahren an Lungenentzündung, ihr Bruder Sigmund Alt starb 1936 mit 46 Jahren.
Deren Geschwister Max und Adele Alt hatten ihr Geschäft in der Schlossgasse, eine Filiale befand sich in der Hauptstraße von Kobersdorf. Ein weiterer Bruder, Gustav (Gedalja) Alt, geboren 1898 in Kobersdorf, floh 1939 nach Frankreich und kam 1940 in das Sammellager Drancy. 1942 wurde er nach Auschwitz deportiert und ermordet ( Schoa-Opfer).
Der Großvater von Moses Alt, Rabbiner David Alt Eibnitz, war 43 Jahre lang, von 1807 bis zu seinem Tod im Jahr 1850 Rabbiner in Kobersdorf und damit der längst dienende Rabbiner der Gemeinde. Seine rabbinische Ausbildung genoss er immerhin bei einem der Größten aller Zeiten, bei Chatam Sofer, der von 1798 bis 1806 Rabbiner in Mattersdorf war.
Es heißt, dass dieser dem Rabbiner David Alt geraten hätte, immer einen jüdischen Kalender bei der Hand zu haben, in dem die Minhagim (Bräuche) angeführt werden. Und zwar deshalb, damit es nicht passieren kann, dass ein Gemeindemitglied mit simplem Gemüt den Rabbiner auf einen nicht so wichtigen Minhag aufmerksam macht, an den sich er (der Rabbiner) nicht gehalten hätte. Der Kalender hilft dem Rabbiner solche misslichen Situationen zu vermeiden.
Auch die wunderschöne und gelehrte Grabinschrift zeugt von der großen Bedeutung Rabbiner David Alts und der Wertschätzung, die die Gemeinde ihm entgegenbrachte.
Die Nachfolge von Rabbiner David Alt Eibnitz trat Rabbiner Abraham Shag Zwebner an.
Zwebner wurde am 17. April 1801 (04. Ijjar 561) in Hlohovec (deutsch: Freistadl) in der Slowakei geboren, studierte ebenfalls bei Rabbiner Chatam Sofer (1762-1839) in Pressburg, wo er auch die Smicha erhielt, also die formelle Einsetzung als Rabbiner. 1851 kam er als Rabbiner nach Kobersdorf. In seine Amtszeit fiel auch der Neubau der Synagoge von Kobersdorf im Jahr 1860. Mehr über Rabbiner Abraham Zwebner in unserem Blogartikel “Die ehemalige Synagoge in Kobersdorf“.
Seine Ehefrau Leni (Rebekka Lea), geb. Spitz, starb schon 1863 und ist am jüdischen Friedhof Kobersdorf begraben und zwar ebenfalls in der Alt-Reihe, unmittelbar neben Josefa / Pepi / Paulina (Feierl bzw. Peierl) Alt, geb. Neumann (siehe das Bild ganz oben im Header), der Ehefrau des Nachfolgers und Sohnes von Rabbiner David Alt Eibniz, Lázár (Abraham Elieser Se’ev / Wolf) Alt.
Lázar Alt, der als Rabbiner eine ebenso große Bedeutung wie sein Vater erlangte, war bis zu seinem Tod am 07. April 1898 Rabbiner von Kobersdorf. Im Jahr 1895 hatte er die schreckliche Hochwasserkatastrophe miterlebt und konnte sein Leben nur durch die Flucht auf einen Sparherd (Küchenhexe) retten.
Die zeitgenössische ungarische Presse berichtet nach seinem Tod von
einer bis dahin selten wahrgenommenen Trauer, die die gesamte Gemeinde überschattete…
Die hinterlassenen Werke (Manuskripte) des Verstorbenen wurden auf seinen Sarg gelegt. Sie waren alles, was ihm geblieben war: Er hatte ein asketisches Leben geführt und von seinem bescheidenen Gehalt mehr an die Armen verteilt als für sich selbst behalten.
Egyenloseg, April 17, 1898
Vielen herzlichen Dank vor allem an Frau Naomi Atlani, Kanada, eine unmittelbare Nachfahrin der Familie Alt, für die Zurverfügungstellung von vielen Bildern und Familiendokumenten.
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Congratulations on a spectacular job!