Wolf Wilhelm – 29. Mai 1901

Wolf Wilhelm – 29. Mai 1901

Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt

Wilhelm (Chajim Seev) Wolf, 11. Siwan 661 (= Mittwoch, 29. Mai 1901)

Standortnummer: 214

 

Die Grabinschrift

Inschrift Wilhelm Wolf: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Güte für Tausende hast du von dem, was du besessen hast, in Freude verschenkt. חסד לאלפים מהונך ברנה הענקת
[2] Solange du gelebt hast, hast du für den himmlischen Dienst heilige Zeiten angesetzt. ימיך ודבאך למלאכת שמים קדשת
[3] G(ottes)furcht und Seine Lehre hast du ins Herz deiner Nachkommenschaft eingezeichnet. יראת ה ותורתו בלב זרעך חקקת
[4] Angenehme und gute Eigenschaften hast du geliebt und besessen. מדות טובות ונעימות חשקת ורכשת
[5] Dein Gedenken möge zum Segen sein im Munde aller Geschöpfe. זכרונך לברכה בפי כל הבריות
[6] Du warst wie ein Karneolstein, der überall dort erstrahlte, wo die Tora gehört wurde. אבן שהם הנגה בראש הומיות
[7] In den Gassen Jerusalems sollen dir Denkmale erbaut werden. בחוצות ירושלם יד ושם לך בנויות
[8] Voll von Tränen war das Auge, denn du bist hingegangen, etwa 70 Jahre alt. זלגו עין כל דמעות גועת לשבעים
[9] “Dein Stolz, Israel, liegt erschlagen auf deinen Höhen”, klagt man. צבי ישראל על במתיך חלל קוננו
[10] Dass du den Enkeln und Urenkeln nicht aus dem Gedächtnis entschwindest, לא תשכח מלב שלשים ורבעים
[11] ist unser einziger Segenswunsch beim Hinscheiden unseres Bruders. הברכה אחת היא לנו בגוע אחינו
[12] H(ier liegt) b(egraben) פ”נ
[13] der Erhabene, d(er ehrenhafte) H(err) Chajim Seev, Sohn des MORENU הקצין כ”ה חיים זאב בן מ”וה”ר
[14] Esriel Halevi Wolf, d(as Andenken) d(es Gerechten) m(öge bewahrt werden). עזריאל הלוי וואלף ז”צ”ל
[15] Sein friedlicher Wohnsitz, der Ort seines ehrenvollen Aufenthaltes war 30 Jahre lang היתה בשלם סכו ומעונתו כבוד שלשים שנה
[16] die Stadt W(iene)r Neustadt. בעיר וו”ר ניישטאדט
[17] Dort verschied er in g(utem) N(amen) am Mittwoch, dem 11. des Monats Siwan, ויגוע שם בש”ט ביום ד י”א בחודש סיון
[18] und er wurde mit großem Wehklagen am 12. desselben (Monats) des Jahres ויקבר בהספד גדול י”ב בו בשנת
[19] “Ach! Waisen wurden wir, ohne Vater” (= 661) n(ach der kleinen Zeitrechnung) begraben. הה יתומים היינו אין אב ל
[20] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). תנצבה

Sockel

Inschrift Wilhelm Wolf: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Friedländer und Deutsch Wien
 

Anmerkungen

Zeile 1: Exodus 20,6 חסד לאלפים u.a.

Zeile 2: Deuteronomium 33,25 וכימיך דבאך. Diese schwer zu übersetzenden Worte (etwa Buber-Rosenzweig: “und gleich deinen Tagen sei dein Behagen”) werden durch die Interpretation des Raschi verständlich: “…und so wie die Tage, die dir lieb waren, d.h. die Tage deines Anbeginns deiner Jugend, so werden auch die Tage deines Alters sein, die hinwegfliehen, zerfließen und sich neigen…” …וכימים שהם טובים לך, שהן ימי תחלתך, ימי נעוריך, כן יהיו ימי זקנתך, שהם דואבים זבים ומתמוטטים…. S. auch eine weitere Erklärung des Raschi.

Zeile 6: Exodus 25,7 אבני שהם. Der Karneolstein ist ein dunkelroter Stein, dessen Fundstellen in Indien und im Jemen liegen. In der Bibel werden die Steine v.a. im Zusammenhang mit dem Schmuck des Brustschildes des Hohepriesters genannt.

Sprüche 1,21 בראש המיות. Einheitsübersetzung: “Am Anfang der Mauern…”, Buber-Rosenzweig: “zuhäupten der lärmenden Straßen…”. Die Lesung המיות basiert v.a. auf der Septuaginta (τειχέων). Der Targum übersetzt ähnlich בריש בירתא, was etwa mit “am Anfang des Tempel(bezirkes)” (der Ort, an dem Gott wohnt), wiedergegeben werden kann. In ähnlicher Weise versteht Raschi die Stelle, der, am hebräischen Bibeltext festhaltend, von der Wurzel המה, “lärmen”, , “tönen”, “murmeln” etc. ausgeht und, sinngemäß zitiert “den Ort, an dem die Tora verkündet und gehört wird” interpretiert.

Zeile 7: Jeremia 5,1 בחוצות ירושלים. “Straßen Jerusalems” ist hier natürlich im übertragenen Sinn zu verstehen.

Jesaja 56,5 יד ושם.

Zeile 8: Babylonischer Talmud, Traktat Pesachim 118a זלגו עיניו דמעות u.a.

Die Lesung des letzten Wortes שבעים als “schiv’im” beruht auf der vermutlichen Biografie des Verstorbenen (s.u.). Wenn diese stimmt, ist das Alter von etwa 70 Jahren sehr wahrscheinlich.

Zeile 9: 2 Samuel 1,19 הצבי ישראל על במותיך חלל.

Zeile 10: Vgl. Psalm 31,13 “Ich bin dem Gedächtnis entschwunden wie ein Toter…” נשבחתי כמת מלב….

Numeri 14,18 על שלשים ועל רבעים; wörtl. etwa “der dritten und vierten Generation”.

Zeile 11: Genesis 27,38 הברכה אחת הוא לך.

Numeri 20,3 בגוע אחינו.

Zeile 1-11: Akrostichon: Die Anfangsbuchstaben ergeben die hebräischen Vornamen des Verstorbenen (Chajim Seev) sowie die abbrevierte Euphemie “d(as Andenken) d(es Gerechten) m(öge zum ewigen) L(eben) sein” זצל”ה.

Zeile 13: MORENU bedeutet wörtlich “u(nser) L(ehrer), H(err)”. Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als “synagogaler Doktortitel” (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).

Zeile 17: Vgl. Berachot 17a “…Heil dem, der … mit gutem Namen gestorben ist …” …אשרי …שנפטר בשם טוב…; vgl. auch babylonischer Talmud, Traktat Avot II,8 “…hat er einen guten Namen erworben, hat er etwas für sich erworben”. Der gute Name kommt im Gegensatz zu allen anderen geistigen und sittlichen Gütern fast ausschließlich dem Besitzer zugute und bleibt auch nach dem Tod sein eigen (Hirsch Samson Raphael, Siddur. Israels Gebete, Zürich-Basel 1992, 443); s. auch Avot IV, 7 “… Drei Kronen gibt es: die Krone der Tora, die Krone des Priestertums und die Krone des Königtums; die Krone des guten Namens aber erhebt sich über sie” ‎‏‏ … שלשה כתרים הן: כתר תורה וכתר כהונה וכתר מלכות: וכתר שם טוב עולה על גביהן.

Zeile 18: הספד גדול meint die öffentlich(e) (gezeigte) Trauer im Unterschied zum eigentlichen Trauergefühl, dessen Ausmaß etc. nicht vorgeschrieben werden kann; s. bes. Babylonischer Talmud, Traktat Taanit 18a, Megilla 5b sowie Rosch Haschana 25a, Moed Qatan 21b u.a.

Zeile 19: Ezechiel 30,2 הה.

S. Klagelieder 5,3 יתומים היינו אין אב “Waisen sind wir, ohne Vater”.

Die Zahlenwerte der Buchstaben des biblischen Verses ergeben addiert das Sterbejahr 661.

 

Biografische Notizen

Wilhelm (Chajim Seev) Wolf, Weingroßhändler in Wiener Neustadt, gest. am 29. Mai 1901 mit 71 Jahren in Wr. Neustadt, begraben in Eisenstadt am 30. Mai 1901 um 17 Uhr (s. Sterbeanzeige unten).

Sterbeanzeige Wilhelm Wolf - Familie

Sterbeanzeige Wilhelm Wolf – Familie (Neue Freie Presse, 30. Mai 1901)

Sterbeanzeige Wilhelm Wolf - Firma

Sterbeanzeige Wilhelm Wolf – Firma (Neue Freie Presse, 30. Mai 1901)

Im Register für Gesellschaftsfirmen wurde am 17. Juli 1901 die Firma: “Wilhelm Wolf u. Sohn” über Ableben des öffentlichen Gesellschafters Wilhelm Wolf gelöscht, dagegen im Register für Einzelfirmen die Firma: “Wilhelm Wolf u. Sohn” in Wr. Neustadt als von Jakob Wolf im Betriebe des Weinhandels geführt, eingetragen.
K.k. Kreis- als Handelsgericht Wr. Neustadt, Abth. IV, am 17. Juli 1901

Wiener Zeitung, 23. Juli 1901, Seite 18

Wilhelm Wolf & Sohn, Weingroßhandlung in Wiener Neustadt.
Im Ausgleichsedikt vom 20. Dezember 1927 soll es richtig heißen: “Eröffnung des Ausgleichsverfahrens über das Vermögen der registrierten Firma Wilhelm Wolf & Sohn, Weingroßhandlung in Wiener Neustadt.
Kreisgericht Wiener Neusstadt, Abt. 4, am 27. Dezember 1927

Wiener Zeitung, 30. Dezember 1927, Seite 11

Wilhelm Wolf & Sohn in Wiener Neustadt.
Fortführung des vom Kreisgerichte Wiener Neustadt … vom 20. Dezember 1927, über das Vermögen der protokollierten Firma Wilhelm Wolf & Sohn in Wiener Neustadt eröffneten Ausgleichsverfahrens beim gefertigten Gerichte auf Grund der mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 4. Jänner 1928, Nr. 7… verfügten Delegierung…

Wiener Zeitung, 13. Jänner 1928, Seite 13

 

Vater: Israel (Asriel) Wolf, gest. 01. Dezember 1859, begraben am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt
Mutter: Anna (Chana) Hartstein, gest. 01. Juni 1872, begraben am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt

 

Ehefrau: Julie (Jütl) Wolf, gest. 06. Juni 1914

 

Schwestern:

Adelheid (Edel) Schiff, gest. 23. Februar 1910

Fanny (Fradel) Schiff, gest. 24. März 1900

Sali Klaber, gest. in Ödenburg (Sopron) 27. Jänner 1908, war Ehefrau ihres Cousins Moritz Klaber

Leni Bunzlau, lebte in Neudörfl und starb 10. März 1903, siehe mehr Informationen bei ihrem Ehemann Samuel Bunzlau

Rösl Schönberger, in Ödenburg gestorben

Lotti (Chaila) Schönberger, gest. 09. August 1860

 

Brüder:

Mayer (Meir) Wolf, gest. 13. April 1884

Abraham Wolf, gest. in Neudörfl am 25. September 1884

Viktor (Avigdor) Wolf, lebte in Neudörfl und starb am 08. November 1906 ebendort

 

Söhne:

Jakob Wolf, geb. 22. Oktober 1863 in Neudörfl

Geburtseintrag Jakob Wolf, 22. Oktober 1863 in Neudörfl
Geburtseintrag Jakob Wolf, 22. Oktober 1863 in Neudörfl

 

Ignaz Wolf, geb. 22. September 1866 in Neudörfl

Matriken Geburt Ignaz Wolf 1866

Matriken Geburt Ignaz Wolf 1866

 

Material und Maße des Grabsteins

Gabbro, 250/88/50

 

Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt

 

Ein Kommentar

  1. Chaya-Bathya (Claudia) Markovits

    Nachruf auf Wilhelm Wolf:

    Jüdische Presse (Berlin), 32. Jg., 24 (14. Juni 1901), S. 247:

    Wiener Neustadt, 6 Juni. (Eig. Mitth.) Unsere Cultusgemeinde hat einen tiefschmerzlichen Verlust zu beklagen: im Alter von 71 Jahren ist am 29. v. M. [Mai] Her Wilhelm Wolff verschieden. Der Heimgegangene, der mit tiefsinniger Frömmigkeit bewunderswerthe Herzensgüte und den Adel eines makelreinen Charakters verband, hat länger als ein Menschenalter der Gemeindeverwaltung angehört und auf den mannigfachsten Gebieten unvergängliche Verdienste sich erworben. Sein Tod reißt eine tiefe Lücke, die nur schwer wird ausgefüllt werden können. Die sterblichen Reste wurden nach Eisenstadt überführt und dort unter einem Geleite von vielen Hunderten zu Grabe getragen. In ergreifender Rede schilderte Herr Oberrabbiner Kuttna die Tugenden und Verdienste des Entschlafenen, und nachdem noch ein Angestellter der Firma dem Danke und der Verehrung Ausdruck gegeben, wurde die Bahre dem Schooße der Erde übergeben. Die hiesige Cultusgemeinde veranlaßte zu Ehren des Verblichenen gestern einen Trauer-Gottesdienst, bei welchem in der bis auf den letzten Platz gefüllten Synagoge Herr Rabbiner Weiß [Benjamin W., Oberrabbiner von Wr. Neustadt] die in Form und Inhalt gleich vortreffliche Gedächtnißrede hielt. Das El mole rachamim-Gebet beendete die ergreifende, eindrucksvolle Feier. תנצב”ה.

    http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/4826133

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