Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Izsak (Mose Itziq) Tachauer, 25. Ijjar 647 (= Donnerstag, 19. Mai 1887)
Standortnummer: 217
Die Grabinschrift
[1] H(ier liegt) b(egraben) | פנ |
[2] der Rabbiner, die [große] Leuchte, | הרב המאור [הגדול] |
[3] MORENU Mose Itziq Tachau, | מוה משה איצק טאכוי |
[4] Sohn des MORENU Abraham, d(as Andenken) d(es Gerechten) m(öge bewahrt werden). Ein Richter und Lehrer war er, | בן מוה אברהם זצל דיין מורה |
[5] alt und angesehen. Seine Seele ging hinweg i(n) R(einheit) | זקן ונשוא פנים יצאה נשמתו ב”ט |
[6] am Donnerstag, dem 25. Ijjar, vierzig[jährig]. | ביום חמישי כה אייר ארבעים [ל…] |
[7] Begraben wurde er tags darauf, am V(orabend) d(es heiligen) Sch(abbat), T(oraabschnitte) “Auf dem Berg…” und “In meinen Satzungen…” | נקבר למחרתו עשק פ בהר ובחקתי |
[8] des Jahres 647 n(ach der) k(leinen) Z(eitrechnung). | בשנת תרמז לפק |
[9] Mose stieg hinauf, um die Früchte seiner Tagen zu sammeln. | משה עלה למרום לאסף פרי מעלליו |
[10] Er richtete Israel in Gerechtigkeit und der Wahrhaftigkeit der Tora […]. | שפט את ישראל בצדק ישר התורה נ[…יו] |
[11] Die Rechtschaffenen waren ihm nach seinem Herzen, und sie leiteten immer seine Schritte. | הישרים כלבו והם נהלו תמיד פעמיו |
[12] Liebe und Glauben erfüllte er in seinen Gedanken und Werken. | אמת ואמונה ישלם במחשבותיו ובמעשיו |
[13] Tag und Nacht […] der [Lehre]. | יום ולילה […] ד[אורייתא] |
[14] Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit jagte er nach und in der Gottesfurcht […] nicht […]. | צדק צדק רדף וביראתו לא […] |
[15] Er erfüllte die Tora aus Armut die meisten seiner Tage und Jahre. | קים את התורה מעוני רוב ימיו ושנותיו |
[16] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). | תנצבה |
Anmerkungen
Zeile 3 und 4: MORENU bedeutet wörtlich “u(nser) L(ehrer), H(err)”. Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als “synagogaler Doktortitel” (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).
Zeile 5: Jesaja 9,14 זקן ונשוא פנים.
Zeile 7: Der Toraabschnitt בהר… “Auf dem Berg…” (Leviticus 25,1-26,2) ist der 32., der Abschnitt בחקתי… “In meinen Satzungen…” (Leviticus 26,3-27,34) der 33. Abschnitt im einjährigen Lesezyklus.
Zeile 9: Psalm 68,19 עליתי למרום.
Jesaja 3,10 כי פרי מעלליהם.
Zeile 10: Richter 3,10 וישפט את ישראל.
Zeile 14: Deuteronomium 16,20 צדק צדק תרדף.
Zeile 15: Pirqe Avot 4,11 “Rabbi Jonathan sagt: Wer die Tora aus Armut erfüllt, der wird sie auch aus Reichtum erfüllen, und wer die Tora aus Reichtum unerfüllt lässt, der wird sie auch aus Armut unerfüllt lassen רבי יונתן אומר, כל המקים את התורה מעני סופו לקימה מעשר. וכל המבטל את התורה מעשר סופו לבטלה מעני:.
Zeile 9-15: Akrostichon: Die Anfangsbuchstaben ergeben die hebräischen Vornamen des Verstorbenen (Mose Itziq).
Biografische Notizen
Izsak (sic. in den Matriken) (Mose Itziq) Tachauer, gest. 25. Ijjar 647 = 19. Mai 1887 in Eisenstadt mit 78 Jahren.
Vater (von Isak Tachauer): Abraham Tachau, gest. 02. April 1854, begraben am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt
Mutter (von Isak Tachauer): Zirl Tachau, gest. 03. Dezember 1831, begraben am älteren jüdischen Friedhof in Eisenstadt
Ehefrau: Katharina (Chaja) Eibnitz-Alt, geh. 25. Mai 1836 in Kobersdorf. Katharina (Chaja) Eibnitz Alt ist die Tochter des berühmten Kobersdorfer Rabbiners David Eibnitz-Alt. Dieser stammte aus Mähren und starb nach 43 Jahren Tätigkeit als Rabbiner in Kobersdorf an Altersschwäche im Alter von 75 Jahren am 24. Nisan 610 (= 06. April 1850). Sein Grabstein findet sich am jüdischen Friedhof in Kobersdorf (s.u.).
Katharina (Chaja) Tachauer, geb. Eibnitz-Alt, starb mit 76 Jahren an “marasmus senilis” (= Altersschwäche), in Unterberg-Eisenstadt am 27. Tammus 653 = 11. Juli 1893 (s. Matrikeneintrag unten). Im Sterbeeintrag finden wir als Sterbetag den 12. Juli 1893 12 Uhr Mittag. Sie wird als “verwitwet” eingetragen.

Material und Maße des Grabsteins
Kalksandstein, 170/68/27
Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Nachruf auf R. Isaak Tachauer:
Jüdische Presse (Berlin), 18. Jg., Nr. 23 (9. Juni 1887), S. 240–241:
F. F. Eisenstadt 3. Juni. (Orig.-Corr.) Ein edles Leben, reich an Tugenden ist erloschen; unser ehrwürdiger Rabbinatsassessor Rabbi Isaak Tachauer ist am 19. Mai von seiner irdischen Laufbahn abberufen worden. Vor kurzer Zeit feierte der Verblichene sein 50jähriges Hochzeitsjubiläum, zahlreiche Deputationen der hiesigen Gemeinde erschienen bei dem Jubilar, und den Grundton aller Glücksegnungen bildete der Wunsch, daß es dem hochverehrten Greise vergönnt sein möge, den Abend seines vielbewegten Lebens in froher Ruhe zu genießen, und noch eine lange Reihe von Jahren, wie bisher, den Samen des Edlen und Guten auszustreuen. Diesem Wunsche ist leider die Erfüllung versagt worden. Von seines Lebens letzten Gange, einen Trauungsakt zu vollziehen, am 19. Mai zurückgekehrt, wurde er, von einer heftigen inneren Krankheit, welche von Tag zu Tag größere Dimensionen annahm. auf’s Krankenlager gebannt. Es wurden seitens des Gemeindevorstandes sogleich die bestrenommirten Aerzte befolgend, einen Professor aus Wien zu berufen, um eine Operation zu unternehmen. Fort und fort wurden im Tempel die üblichen Psalmgebete wiederholt, reichliche Spenden ausgetheilt, man that Alles, um das Leben des Theuern zu erhalten; aber alle Anstrengungen blieben erfolglos. Einige Stunden nach der Operation hauchte er seine edle Seele aus. Wahrlich, die Feder ist zu schwach, um den großen Schmerz zu schildern, der unsere Gemeinde mit diesem Schlage erschütterte. Rabbi Isaak Tachauer war ein Mann von seltenen Eigenschaften und geradezu erstaunlicher Gelehrsamkeit. Begeistert und erglüht für die ewigen Wahrheiten seines heiligen Berufes, hat er mit einer wahrhaft bewunderungswürdigen Gewissenstreue, mit der edelsten Selbstverleugnung sein Amt volle 45 Jahre verwaltet. Die Wahrhaftigkeit, der Grundzug seines Wesens, bethätigte er in Lehre und Leben, daher haßte er jede pilpulistisch-irrlichternde Dialektik, die sich von der realen, nüchtern-logischen Forschung entfernt, haßte er jede Richtung, die, nach welcher Seite immer über den Schulchan-Aruch [das religionsgesetzliche Kompendium, dessen Vorschriften für den orthodoxen Juden verbindlich sind] hinausging, und von daher auch consequentermaßen ein eifriger Gegner aller ex[z]entrischen Bestrebungen, welche sich zur tiefen Trauer aller Talmide-Chachamim [rabbinischen Gelehrte] der alten Schule auch in Ungarn eingenistet haben. [Damit dürfte der Chassidismus gemeint sein.] Der imposante Leichenzug gab Zeugniß von der Liebe und Verehrung, die er sich durch sein stilles Wirken, durch seine edle Bescheidenheit erworben. Trotz des nahenden Sabbath eilten Viele von Nah und Fern hierher, um dem großen Todten die letzte Ehre zu erweisen, darunter der Sohn des Verstorbenen Herr Dr. G. [Gustav / Gedalja] Tachauer, Director des Lehrerseminars in Würzburg, Rabbiner Alt aus Kobersdorf, Rabbiner Grünwald aus Oedenburg u. A. In seiner edlen Bescheidenheit hatte der Verblichene jede Trauerrede ausdrücklich verboten, doch hielt unser verehrter Herr Rabbiner Kuttna am darauffolgenden Sonntag in der Synagoge eine Gedächtnißrede, in welcher er mit herzergreifenden Worten die Größe des Verlustes, den die Gemeinde zu betrauern hat, schildern und dieselbe ermahnte, die Lehren und das Vorbild ihres heimgegangenen Lehrers zu beherzigen. תנצב”ה.
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/4814209