Grabstein Mittelalter I

Grabstein Mittelalter I

Josua, Sohn des Jakob, 12. Adar (50)28 = (Dienstag,) 06. März 1268?

Dieser Grabstein ist der erste von links der Installation der fünf mittelalterlichen Grabsteine am jüdischen Friedhof Wiener Neustadt.

Untenstehend zwei Fotos des Grabsteines mit unterschiedlichen Qualitäten, um eine möglichst korrekte Lesung der Inschrift zu ermöglichen.
Die Punkte über den hebräischen Buchstaben werden in der Transkription mit einfachen Anführungszeichen angedeutet.

  • 1. Grabstein (von links) der Installation mittelalterlicher jüdischer Grabsteine am jüdischen Friedhof Wiener Neustadt'
  • 1. Grabstein (von links) der Installation mittelalterlicher jüdischer Grabsteine am jüdischen Friedhof Wiener Neustadt'
 

Die Grabinschrift

Inschrift MittelalterI: Zeilengerechte Transkription und Übersetzung
[1] Dieses Grabmal ציון
[2] (steht) zu Häupt(en) הלז לרא‘
[3] d(es Herrn) Josua, ר‘ ישוע
[4] S(ohn), d(es Herrn) Jakob, בר‘ יעקב
[5] der hinwegging שהלך
[6] in seine Welt לעולמו
[7] am 12. Adar בי’ב‘ לאד’ר
[8] d(es Jahres) 28 (= 1268) ש‘ כח‘
[9] […] […]
 

Anmerkungen

Die Inschrift ist bis inklusive Zeile 6 deutlich lesbar.

7. Zeile:
Wird der erste Buchstabe als ב gelesen, bietet sich an, die beiden Buchstaben mit den Punkten, י und ב, als Zahl, nämlich 12, zu lesen.
Beim 2. Wort dieser Zeile ist nicht ganz klar, warum sich über dem ד ein Punkt befindet. Möglich wäre, dass der Monatsname Adar ursprünglich nur mit ‘אד geschrieben wurde und der Punkt über dem ד das fehlende ר andeutet. Dann hätten wir eine Parallele zur 2. Zeile, in der das א im Wort ראש einen Punkt erhält, um das fehlende ש anzudeuten. Das ר von אדר könnte später geschrieben worden sein?

8. Zeile
Stimmt die Lesung “12. Adar” in der 7. Zeile, können wir nun die Jahreszahl erwarten. Da das ש mit deutlichem Abstand zu den nächsten beiden Buchstaben כ und ח geschrieben wurde, neige ich dazu, das ש als שנת (im Jahr) zu lesen. Der erste nicht mehr indentifizierbare Buchstabe der Zeile könnte ein ב gewesen sein, also בש’ (im Jahr …). Die Buchstaben כ und ח haben den Zahlenwert 28. Das jüdische Jahr 5028 ist umgerechnet 1268.
Alternativen: Wird das ש zusammen mit כ und ח gelesen, erhalten wir das jüdische Jahr 328 (umgerechnet 1568).
“28” als Altersangabe zu lesen – wie es manche tun – scheint mir unwahrscheinlich, weil dann das ש kaum erklärbar wäre und außerdem die Altersangabe wohl auch nicht zwischen Monat und Jahr stehen würde.

7. und 8. Zeile: Nur der Vollständigkeit sei angemerkt: Würde man die Zahlenwerte jener Buchstaben, über denen sich Punkte befinden, zusammenzählen, ד = 4, ש = 300 und ח = 8, erhält man (die Jahreszahl) 312 (umgerechnet 1552). Diese Lesung halte ich allerdings für eher unwahrscheinlich, auch, wenn mir die Punktsetzung nicht restlos erklärlich ist.

9. Zeile: Diese Zeile ist vollkommen unlesbar. Allerdings halte ich aufgrund der sichtbaren Buchstabenreste etwa ein לאלף ששי (im 6. Jahrtausend, also nach 1240) für möglich. Die Schlusseulogie תנצבה (Seine Seele möge eingebunden sein im Bund des Lebens) hingegen scheint mir unwahrscheinlich.

Bleibt abschließend festzuhalten, dass ich bei der Datierung zum Jahr 1268 neige, im Bewusstsein, dass das Jahr 1568 ebenfalls im Frage kommt (leider satte drei Jahrhunderte Unterschied).

Die Gründe für die Datierung 1268 (wenn das Datum stimmt – leider vermissen wir noch Quellen, die diese Datierung unterstützen -, wäre dieser Grabstein jedenfalls der zweitälteste in Wiener Neustadt und einer der ältesten in Europa):

  • Die sprachliche Stil der Inschrift spricht für das 13. Jahrhundert, nicht aber für das 16. Jahrhundert.
  • Ebenso lassen die handwerkliche Ausführung der Gravur sowie die Form der Buchstaben auf ein frühes Datum schließen.
  • Zwar kein Beweis, aber ein weiteres Indiz für eine Frühdatierung ist, dass wir keine Angabe des Wochentages (Montag, Dienstag etc.) vorfinden. In Frankfurt/Main etwa stammt der älteste Stein mit der Angabe des Wochentages aus dem Jahr 1283, in Wiener Neustadt aus dem Jahr 1286 (an der Stadtmauer).
  • An der Stadtmauer in Wiener Neustadt befindet sich ein Grabstein aus dem Jahr 1252, der diesem hier – in Form und Inhalt – auffällig ähnlich ist (siehe Bild unten).
 

Mittelalterlicher Grabstein an der Stadtmauer in Wiener Neustadt, 1252

 

2 Kommentare

  1. Sicher 13. und nicht 15. Jahrhundert, ergibt sich eindeutig aus der Schrift, der Steingestaltung und dem Formular, wie du ja selbst im Vergleich mit dem Grabstein des Simcha ben Rarbbi Baruch von 1252 richtig bemerkst. Vermutlich steht auch beim 1268er Stein unten noch die Tausender-Angabe und die Bündel-Formel.
    Herzlichen Gruß an den Gruftspion
    Martha

    1. Hallo Martha,

      da sag ich ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar! Ich musste die 16.-Jahrhundertversion der Vollständigkeit halber zumindest anmerken, weil manche Wissenschaftler ihn tatsächlich so datieren.

      Umso mehr freut mich natürlich deine Bestätigung meiner Lesung :)

      herzliche Grüße aus Pannonien, Johannes

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