Dieser Artikel war ursprünglich die 9. Podcastfolge, die ich während meiner Zeit im Österreichischen Jüdischen Museum in Eisenstadt am 16. März 2021 publizierte. Die Podcastreihe “Koscher Schmus” wird auf “Der Transkribierer” nicht fortgeführt, die von mir erstellten Podcasts werden jedoch als Artikel zur Verfügung gestellt.
Warum dürfen zu Pesach nur Koscherprodukte verwendet werden, die explizit als “koscher für Pesach” gekennzeichnet sind?
Koscher für Pesach: man wäre vielleicht geneigt “koscher für Pesach” als eine Art “super koscher” zu bezeichnen. Das ist auch nicht ganz falsch, aber es steckt viel viel mehr dahinter:
Schon lange vor dem Pesachfest, Tage und Wochen, in manchen Familien sogar zwei bis drei Monate vorher, beginnt ein Großputz, dass das Zuhause pünktlich zu Pesach “koscher für Pesach” ist. Ein guter Freund auf meine Frage, wann in seiner Familie mit dem Großputz begonnen wird, antwortet mir zwischen Purim und Pesach:
Sagen wir es so: ab Chanukka wird meine Frau panisch, insbesondere wenn die Kinder etwas in ihren Zimmern essen ‒ und spricht ständig davon, dass sie mit dem Pesach-Putz anfangen muss. In der Realität passiert aber nichts vor Purim. Momentan auch noch nicht, aber ich erwarte den Pesach-Putz-Stress jeden Moment jetzt demnächst.
Nicht nur die Küche wird penibel gereinigt, sondern jedes Zimmer, vom Kinderzimmer bis zum Schlafzimmer, von der Waschküche bis zur Garage, von der Werkstatt bis zum Auto. Vorrang haben vor allem jene Räume bzw. Räumlichkeiten, die während des Pesachfestes auch betreten oder benützt werden. Und es geht dabei keineswegs um die Entfernung von Staub und Schmutz, sondern es geht um die akribische Entfernung von allem Gesäuerten. Hebräisch heißt dieses Gesäuerte “Chamez” und Chamez ist jedes Lebensmittel, das aus Weizen, Gerste, Roggen, Hafer oder Dinkel, die gesäuert sind, hergestellt ist. “Gesäuert” bedeutet bekanntlich, dass Wasser im Spiel ist und dass es Zeit braucht, 3-5 Tage, bis der Sauerteig, zum Beispiel der bekannte Hermann-Teig, zubereitet ist. Und genau diese Zeit hatten die Israeliten aber nicht, sie hatten nicht die Zeit gesäuertes Brot zu backen, als sie in aller Eile Ägypten verließen. Wir kennen die Geschichte, als Mose die Israeliten aus der Gefangenschaft in Ägypten herausführen sollte, der Pharao sich aber weigerte die Erlaubnis zu geben und Gott daraufhin die 10 Plagen schickte. Die 10. Plage, der Tod aller Erstgeborenen, fällt auch mit der Ankündigung des Pesachfestes zusammen. Und so lesen wir im 2. Buch Mose, Kapitel 12, Vers 15:
Vom Abend des Pesachfestes an sollt ihr sieben Tage lang nur Brot essen, das ohne Sauerteig gebacken wurde! Entfernt schon vorher alle Sauerteigreste aus euren Häusern! Wer in diesen sieben Tagen doch etwas isst, das Sauerteig enthält, hat sein Leben verwirkt. Er muss aus dem Volk Israel ausgeschlossen werden.
Und noch einmal im nächsten Kapitel, 13, Vers 3:
Mose sagte zum Volk: »Behaltet diesen Tag in Erinnerung, denn heute werdet ihr aus der Sklaverei in Ägypten befreit! Der HERR führt euch mit starker Hand hinaus. Esst darum kein Brot, das mit Sauerteig gebacken wurde!
Und Vers 6 und 7:
Esst sieben Tage lang nur Brot, das ohne Sauerteig gebacken wurde, und am siebten Tag feiert ein Fest zu Ehren des HERRN. Ja, sieben Tage lang sollt ihr nur ungesäuertes Brot essen! Im ganzen Land darf es kein Sauerteigbrot und keinen Sauerteig mehr geben!
Das Pesachfest dauert immer vom Abend des 14. Nisan bis zum 22. Nisan, das ist heuer von 27. März bis 4. April. Der Abend des 14. Nisan, also der Vorabend und Auftakt zum Pesachfest sowie der folgende Abend sind die sogenannten Sederabende. Das hebräische Wort “Seder” bedeutet Ordnung, weil die Mahlzeit an diesen beiden Pesachabenden in einer bestimmten und besonderen Ordnung abläuft.
Am Sederabend wird auch aus der Pesach-Haggada gelesen bzw. gesungen. Beschrieben wird in diesem Buch oder Büchlein das Exil in und der Auszug aus Ägypten.
Am Sederteller liegen die Speisen mit symbolischer Bedeutung ‒ in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten: darunter das ungesäuerte Brot (die Mazzot oder Mazzes) und das Bitterkraut, hebräisch “Maror”. Die Mazzot haben auch spezielle Namen, nämlich “Kohen”, “Levi” und “Israel”.
Vier Becher Wein werden während des Abends getrunken, auf das Einschenken des 2. Glases Wein folgt das wohl berühmteste Lied der Pesach-Haggada, wenn das jüngste Familienmitglied seine 4 Fragen mit folgenden Worten einleitet
מַה נִּשְׁתַּנָּה הַלַּיְלָה הַזֶּה מִכָּל הַלֵּילוֹת?
Ma nischtana ha lajla hase mikol halelot?
Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?
Und schon die erste Frage hat mit unserer heutigen Thematik zu tun, sie lautet:
In allen anderen Nächten essen wir Gesäuertes und Ungesäuertes ‒ in dieser Nacht nur Ungesäuertes?
Der Familienvorstand, der Vater, antwortet mit der Erzählung des Auszugs aus Ägypten:
Sklaven waren wir einst dem Pharao in Ägypten, da führte uns der HERR, unser Gott, von dort heraus mit starker Hand und ausgestrecktem Arm. Hätte der Heilige, gelobt sei Er, unsere Ahnen aus Ägypten nicht herausgeführt, wahrlich! Wir, unsere Kinder und Kindes-Kinder wären noch Sklaven des Pharao…
Pesach erinnert an den Auszug und die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei. Ein weiterer Name des Pesachfestes ist “Fest der ungesäuerten Brote”.
Während des Festes darf kein Produkt, auch kein koscheres Produkt verwendet werden, das nicht explizit “koscher für Pesach” ist, da es sonst Zutaten enthalten könnte, die Chamez sind oder Spuren von Chametz enthalten. Das gilt etwa auch für die Mazzes, die während des ganzen Jahres gegessen werden und für Pesach ungeeignet sein können, weil sie Chamez sind. Daher dürfen zu Pesach auch nur speziell für Pesach erzeugte Mazzes ‒ eben solche, die koscher für Pesach sind ‒ verwendet werden.
Akrap D., Jaschke A., Krajnc C., Reiss J., Nicht ganz koscher? Not quite kosher?, Eisenstadt 2000.
Die Heilige Schrift. Einheitsübersetzung. 11. Aufl. Stuttgart 2006.