Am 9. November fand auch in Wiener Neustadt eine Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Novemberpogrome statt.
Professor Dr. Werner Sulzgruber, der die Veranstaltung organisierte und dafür verantwortlich zeichnete, verlas am Schluss knapp 200 Namen von Juden, die aus Wiener Neustadt vertrieben und ermordet wurden. SchülerInnen zündeten für jedes der Opfer eine Kerze an.
Höhepunkt der Gedenkveranstaltung war aber sicher die einmalige und einzigartige Projektion der Synagoge von Wiener Neustadt auf jenes Haus, das heute am Platz der Synagoge steht.
Ansicht der Synagoge von Wiener Neustadt, um 1905. Bild aus: Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt, Wien 2010, S. 39
Am 16. März 1902 fand die Grundsteinlegung, schon am 18. September 1902 die Schlusssteinlegung für die Synagoge statt. Architekt war kein Geringerer als Wilhelm Stiassny, der offenbar ohne Honorar arbeitete.
In der sehr markanten Rosette mit einem Davidstern von mehreren Metern Durchmesser fand sich der Bibelspruch aus Jesaja 56,7:
Mein Haus wird ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden.
Anmerkung: Auf dem Bild oben kann gut erkannt werden, dass mit dem Vers auch eine Jahreszahl angegeben wird. Ich konnte weder beim Fotografieren noch auf Bildern erkennen, auch in der Literatur nicht finden, welche Buchstaben gekennzeichnet sind, aber es liegt nahe, dass 5662 (= 1902) angegeben wurde. (Rosch HaSchana, also der 1. Tischre und somit der Beginn des jüdischen Jahres 5663, war erst am 2. Oktober 1902!)
Bereits am 10. Oktober 1938 erfolgte im Auftrag der Gestapo die “Übergabe bzw. Übernahme des Tempelgebäudes für die SS Formation”.
In der Pogromnacht selbst wurde der Davidstern abgemeißelt und das riesige Zierfenster herausgebrochen. Weiters wurden einzelne Fenster beschädigt, die Einrichtung zerstört und Tempelgeräte gestohlen. Nationalsozialisten hatten offenbar Fackeln in die Synagoge geworfen, die Brandstellen verursachten. Aber sie wurde nicht, wie so viele im Reichsgebiet, als Ganzes in Brand gesteckt. Grund für die Verschonung des Gebäudes war der Umstand, dass die Synagoge zu diesem Zeitpunkt bereits “übernommen” war.
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt, Wien 2010, S. 38 und insbes. 47
Details bereits per E-Mail…
Super, vielen herzlichen Dank! Also das Rätsel ist gelöst und ich vermutete richtig:
Die hebräischen Buchstaben ב ת ר ל ל sind mit Punkten versehen. Die Zahlenwerte ergeben also 662 und das לפק (nach der kleinen Zeitrechnung, als Ligatur) am Schluss = 5662, also 1902! :-)
Details aus der Rekonstruktion von Susanne Schwarz
Ja, es gibt ein sehr gutes Bild, auf dem die Inschrift genau zu erkennen ist.
und wo bitte? Ich mein, ist das online oder in einem Buch oder wie komm ich zu dem Bild? Danke!
Danke für den Blog-Beitrag!
Auf der Website zur historischen jüdischen Gemeinde findet man außerdem ein Kurzvideo zur Rekonstruktion: http://www.juedische-gemeinde-wn.at/Pages/Gemeinde/Geschichte.aspx#top (unter dem Kapitel “Das Wiedererstehen der jüdischen Gemeinde im 19. Jahrhundert”)
Zudem hat man in der bis 2. Februar laufenden Ausstellung “Familienalbum” im Stadtmuseum Wiener Neustadt die Möglichkeit, dieses Video im Großformat sowie ein Modell der Synagoge zu sehen.
Danke! Ich hab das nämlich auf o.g. Website gestern gesucht und nicht finden können. Sehr schön!
Vielleicht noch die Frage: Gibt es ein Bild von der Rosette mit der Inschrift, wo man die Inschrift selbst genauer erkennen kann, also etwa, über welchen Buchstaben die Punkte sitzen? Bei einigen Buchstaben kann ich es erkennen …
I did not realize that the exterior of the synagogue was so colorful!