Deutsch Jahrndorf ‒ der östlichste Ort Österreichs, direkt an der slowakischen und ungarischen Grenze, 656 Einwohner:innen, für Durchreisende vielleicht ein wenig von “hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht”.
Aber in Deutsch Jahrndorf gibt es seit heute 14 Uhr ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, in Deutsch Jahrndorf gedenkt man der Jüdinnen und Juden, die hier gelebt haben und in der Schoa ermordet wurden.
Es kamen viele Menschen, ältere und auch viele junge, die Kirche war stark vertreten, sehr schöne Reden des katholischen Pfarrers Günther Kroiss und der evangelischen Pfarrerin Silvia Nittnaus.
Besonders beeindruckend fand ich aber, dass die Initiative keine politische war, das Denk- oder Mahnmal daher auch keine Feigenblattfunktion haben wird. Die Initiative kam vom pensionierten Lehrer Erich Zechmeister, das Mahnmal selbst entwarf und fertigte der ehemalige Schuldirektor Konrad Schneider an:
Aus Schrauben und Federn von Eisenbahnschwellen wurde das Mahnmal hergestellt, in mühevoller Kleinarbeit befreiten die beiden Herrn mit Hilfe von Frau Schneider die Schrauben und Federn vom Rost und Herr Schneider konstruierte und fertigte das Mahnmal: es hat die Form eines Schofarhornes, ganz oben das Mundstück.
Dem Bürgermeister Gerhard Bachmann ist es zu verdanken, dass das Mahnmal einen prominenten Platz bekam, so, dass man es auch auf der Durchfahrt nicht übersehen kann.
Mag. Roman Kriszt, aus Deutsch Jahrndorf stammender und im Ort lebender Jurist und Historiker war historischer Berater des gesamten Projekts, recherchierte (ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist) und lieferte die Daten für das Mahnmal.
Heute hielt er die Rede und ich danke ihm wirklich sehr herzlich für die Erlaubnis, diese hier erstpublizieren zu dürfen:
ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Deutsch Jahrndorf. Es hat sicher etliche im Ort gegeben, die sich gefragt haben: Opfer? Welche Opfer? In Deutsch Jahrndorf gab es keine jüdische Gemeinde, sonst ist auch nichts bekannt, was soll es denn hier für Opfer gegeben haben?
Ein Thema, über das lieber geschwiegen wurde, über das man kein Wort mehr verlieren wollte. Bis es dann jetzt, nach fast 80 Jahren vergessen war, dass der Terror des NS-Regimes auch bis hierher, bis in das kleinste Dorf hinein gereicht hat. Erst wenn man in vorhandenen Quellen forscht, stößt man dann doch auf die Opfer aus Deutsch Jahrndorf:
Zwei Personen aus dem Ort sind den Euthanasie-Aktionen der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen. Unter dem Begriff Euthanasie – wörtlich übersetzt „der gute Tod“ – kann man sich kaum etwas vorstellen. Sprache kann gut verschleiern und verbergen, hier waren die Nazis sehr gut darin.
Man kann aber auch ganz brutal und einfach sagen, was es wirklich war: Industrieller Massenmord. In Schloss Hartheim in Oberösterreich wurden 30.000 Personen mit körperlicher und geistiger Behinderung sowie psychischen Erkrankungen ermordet. Vergast. Aus Deutsch Jahrndorf waren dies:
- Maria Meidlinger, geboren 1890 in der Söllnergasse 4; von Beruf war sie Köchin; in ihrem Krankenakt wird sie als „unstet“ bezeichnet, was immer auch damit gemeint ist. Im Juni 1940 wurde sie von Mauer-Öhling nach Schloss Hartheim gebracht und dort ermordet.
- Ludwig Nagy, geboren 1909 am Karlhof, Landarbeiter, er kam im August 1940 von Steinhof nach Hartheim und wurde dort ermordet.
Hier in Deutsch Jahrndorf gab es wie gesagt keine jüdische Gemeinde, aber doch eine jüdische Familie, die längere Zeit hier lebte. 1920 kam Josef Perl als Leiter der Spiritusbrennerei auf den Zeiselhof, wo er mit seiner Familie bis in die 1930er-Jahre lebte. Dann übersiedelte die Familie nach Györ, wo sie 1943/1944 dem NS-Terror zum Opfer fielen.
- Josef Perl wurde 1883 in Großwardein, dem heutigen rumänischen Oradea, geboren. Im Alter von 61 Jahren wurde er 1944 im KZ Auschwitz umgebracht. Josef Perl hat in Deutsch Jahrndorf eine Spur hinterlassen, die man sich heute noch anschauen kann. In der katholischen Kirche wird die Fahne des katholischen Gesangsvereins aufbewahrt, die 1928 angeschafft wurde. Ein prächtiges, teures Stück. Auf dem Griff sind Messingplaketten mit den Namen der Großspender dieser Fahne angebracht. Ja, und dort findet sich auch der Name Josef Perl. Er hat sich also am Gemeindeleben hier in Deutsch Jahrndorf beteiligt, sich eingebracht.
- Seine Frau Elisabeth Perl geb. Pollak, geboren 1890, umgebracht im Alter von 54 Jahren im KZ Auschwitz.
Das Ehepaar Perl hatte drei Kinder:
- Tibor Perl, geboren 1915, umgekommen 1943 im Alter von 28 Jahren.
- Flora Perl, geboren 1922 hier in Deutsch Jahrndorf, umgebracht 1944 im Alter von 22 Jahren im KZ Stutthoff.
- Theresia Perl, geboren 1928 hier in Deutsch Jahrndorf; umgebracht 1944 im Alter von 16 Jahren im KZ Stutthoff.
Sieben Namen ‒ sieben Schicksale ‒ sieben Opfer. In einer Zeit, in der die Zeitzeugen von damals fast schon verschwunden sind, ist es umso wichtiger, das „Nie wieder“ in welcher Form auch immer weiterzutragen, es sichtbar zu machen. Das ist mit diesem Mahnmal geschehen und daher kann man es gar nicht wichtig genug einschätzen. Vielen Dank!
Es wäre schön, wenn dem Beispiel Deutsch Jahrndorf noch viele andere burgenländische Gemeinden folgen würden…
Noch ein Link zum Testimony auf Yad VaShem für die Familie Perl.
Wärmstens lege ich Ihnen schließlich noch das Buch von Roman Kriszt “Schmalztipfler, Gansbären & Plitzerlmocha”. Lexikon der burgenländischen Ortsneckereien“, Herausgeber und Verleger: Burgenländisch-Hianzische Gesellschaft, Obeschützen 2020, ans Herz.
Im Buch finden sich nämlich auch Necknamen, die sich die jüdischen Gemeinden untereinander gaben. Für die jüdische Gemeinde Frauenkirchen etwa waren gleich 3 Namen in Verwendung. Einer davon ist “Lahmscheißer” (Lahm = Lehm). Die anderen beiden aber verrate ich Ihnen hier nicht, die finden Sie im Buch ;-)
ja in jedem Seelen Dorf….auch wenn es schon spät in der vergangenen Zeit ist…wäre es heilsam und es kann bildhaft nachgedacht und gestaunt werden…
Eine wirklich bemerkenswerte Aktion aus privater Initiative! Hoffentlich findet sie Nachahmung in anderen burgenländischen Gemeinden!