Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt
Gottlieb (Jedidja) Fischer, 24. Tischre 656 (= Schabbat, 12. Oktober 1895)
Standortnummer: 218
Die Grabinschrift
[1] H(ier liegt) b(egraben) | פ”נ |
[2] der große, gelehrte und gerechte Rabbiner, fromm und bescheiden, | הרב הגאון הצדיק חסיד ועניו, |
[3] der berühmt war in den Ländern, | המפורסם במדינה, |
[4] gepriesen mit überaus vielen Lobgesängen. | מהלל ברוב תשבחות, |
[5] Schon von den Tagen seiner Jugend an | מימי צעיריו |
[6] vollbrachte er auf wunderbare Weise gute Taten, | כבר הפליא לעשות דברים טובים |
[7] und seine Gerechtigkeit und Edelmütigkeit gingen vor ihm einher. | והלך לפניו צדקו ונדיבתו: |
[8] Mit leidenschaftlichem Eifer umhüllte er sich wie mit einem Mantel, um gleich einem Helden | ויעט כמעיל קנאה כאיש חיל |
[9] einen h(eiligen) Kampf zu führen noch in den Tagen seines Alters. | ללחום מלחמות ה גם בימי שיבתו, |
[10] D(ie Ehre) d(er Heiligkeit) s(eines Namens) i(st seine Zier), unser Lehrer und Meister, d(er ehrenhafte) MORENU | כק”ש”ת מורנו ורבנו כמהו |
[11] Jedidja | ידידיה |
[12] Gottlieb Fischer, | גאטליב פישער |
[13] d(as Andenken) d(es Gerechten) m(öge bewahrt werden). | זצ’ל |
[14] Rabbiner und Lehrer war er für Gerechtigkeit und G(ottesfurcht) | רב ומורה לצדקה ליראי ה’ |
[15] in der Stadt Stuhlweißenburg, | בעיר שטוהלווייסענבורג |
[16] und am Ende seiner Tage befand sich sein prächtiger Wohnsitz in unserer Gemeinde. | ובאחרית ימיו מנחתו כבוד בקהלתנו |
[17] Er schied hin in seine Welt am h(eiligen) Sch(abbat) “Im Anfang”, | נפטר לעולמו ביום ש”ק בראשית |
[18] dem 24. Tischre 656, | כ”ד תשרי ת’ר’נ’ו’ |
[19] und wurde begraben mit großer Ehre unter Anteilnahme einer riesigen Volksmenge | ונקבר בכבוד גדול בקבוץ עם רב |
[20] mit bitteren Trauerreden am Montag, dem 26. desselben (Monats). | והספד מר ביום ב’ כ”ו בו. |
Sockel
[21] Ein Liebling Go(ttes) und der Menschen war er, Gottesfurcht und Weisheit erleuchteten sein Antlitz. | ידיד יה ואנשים, היראה והחכמה פניו האירה. |
[22] Ein großer Gelehrter Israels war er, ein Diadem und eine Krone, Rat, Einsicht und Weisheit zeichneten ihn aus. | גאון ישראל נזר ועטרה לו עצה תושיה וגבורה, |
[23] Wie ein Stein aus der Mauer wird er rufen: Wie ehrfurchtsgebietend ist der Ort, an dem Gott, der Herr, sich verborgen hält! | אבן מקיר תזעק, מה נורא המקום גנוז בו אדון אלקים |
[24] Mit reinen Augen und lauterem Herzen herrschte er als Gerechter in Gottesfurcht. | טהור עינים ובר לבב צדיק מושל ביראת אלקים |
[25] Die Flamme des Eifers für die Tora und ihre Bezeugung brannte in ihm bis ins Alter. | לבת התשוקה לתורה ולתעודה תלהטהו עד שיבתו, |
[26] Die bösen Dämonen werden gemeinsam weinen, über ihn, über die Güte seines Herzens und seine Bescheidenheit. | יחד עליו יבכיון מרירי יום על טוב לבו וענותנותו, |
[27] Die Sonne ging unter, die Sterne hielten ihr Licht zurück, die Zeit seiner Ablöse ist gekommen. | באה השמש, הככבים אספו נגהם, עת באה חליפתו. |
[28] “Hier ist der Anteil des Gesetzgebers geborgen”, ruft die Stimme seiner Bekannten und Verwandten voll Bitterkeit. | פה חלקת מחוקק ספון, קול יודעיו ומכיריו מר צורה |
[29] Die G(ottes)fürchtigen werden um ihn klagen, oh weh! Unser Liebling kehrte zu jenem Ort zurück, von dem er wieder aufstehen wird. | יראי ה’ יקוננו, אהה! דודנו אל מקומו שואף זורח. |
[30] Der Letzte der Gerechten des Geschlechts der Altehrwürdigen war er, wenn er sprach, entbrannte das Feuer. | שריד היה מצדיקי הדור הישישים, בהגיגו אש תבער. |
[31] Über die Feinde des H(errn) triumphierte er und war ihnen überleben, zermalmt hat er sie wie Sturm und Wind. | על אויבי ה’ יריע והתגבר, ישופמו כסופה וכסער |
[32] Der Geist G(ottes) sprach durch ihn und überwältigte ihn, sodass er einen heiligen Kampf führte. | רוה ה’ דבר בו ותתקפהו, אז לחם שער. |
[33] S(eine) S(eele) m(öge eingebunden sein) i(m Bund) d(es Lebens). | ת’נ’צ’ב’ה’ |
Anmerkungen
Zeile 4: מהלל בתשבחות sind die Schlussworte des Morgengebetes “Gesegnet, der gesprochen…” ברוך שאמר…. Hirsch übersetzt “…(gesegnet seist Du Gott), mit Preisgesängen in Seinem Tatenlob auszusprechender (König).” (Hirsch Samson Raphael, Siddur. Israels Gebete, Zürich-Basel 1992, 443).
Zeile 6: Ri 13,19 ומפליא לעשות.
Zeile 7: Psalm 85,14 צדק לפניו יהלך; Vgl. bes. Jesaja 58,8 “… Deine Gerechtigkeit geht dir voran, (die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach)”. …והלך לפניך צדקך…, wo es um die Vorbereitung auf das kommende Heil geht. Vgl. auch babylonischer Talmud, Traktat Sota 3b “Wer ein Gebot auf dieser Welt ausübt, den empfängt es in der zukünftigen Welt und geht vor ihm einher…” כל העושה מצוה אחת בעוה”ז מקדמתו והולכת לפניו….
Zeile 8: Jesaja 59,17 ויעט כמעיל קנאה.
Zeile 9: Wörtlich: “Kriege G(ottes)”.
Zeile 10: MORENU bedeutet wörtlich “u(nser) L(ehrer), H(err)”. Den MORENU-Titel erhielten nur besonders gelehrte Männer, Bernhard Wachstein bezeichnet ihn als “synagogaler Doktortitel” (siehe Bernhard Wachstein, Die Inschriften des Alten Judenfriedhofes in Wien, 1. Teil 1540 (?)-1670, 2. Teil 1696-1783, Wien 1912, 2. Teil, S. 15).
Zeile 16: Jesaja 11,10 מנחתו כבוד.
Zeile 17: Der Toraabschnitt “Im Anfang” (Genesis 1,1-6,8) ist der erste im einjährigen Lesezyklus.
Zeile 21: “Ein Liebling” – Wortspiel aufgrund des Vornamens “Jedidja”; Vgl. Kohelet 8,1 “Das Wissen eines Menschen macht sein Gesicht strahlen …” …חכמת אדם תאיר פניו….
Zeile 22: Sprüche 8,14 לי עצה ותושיה.
Zeile 23: Habakuk 2,11 כי אבן מקיר תזעק. Die Kommentare zur Stelle erklären unisono, dass es sich um den einzigen Stein handelt, der vom (durch den babylonischen König Nebukadnezzar) zerstörten Tempel übrigblieb.
Genesis 28,17 מה נורא המקום.
Zeile 24: Habakuk 1,13 טהור עינים.
Psalm 24,4 ובר לבב.
2 Samuel 23,3 מושל יראת אלהים.
Zeile 25: Exodus 3,2 בלבת אש.
Während textkritische (christliche) Editionen und Wörterbücher die Lesung להבת als status constructus von להבה vorschlagen, sieht Raschi darin eine Ableitung von לב und versteht unter “Herz des Feuers” ebenfalls die Flamme.
Jesaja 8,20 לתורה ולתעודה.
Zeile 26: Ijob 3,5 כמרירי יום.
Diese Zeile dürfte eine Anspielung darauf sein, dass die bösen Dämonen keine Macht über jemanden haben, der die Gebote des Laubhüttenfestes einhält; s. den Homilien-Midrasch Pesiqta de Rav Kahana Buber 29 (= Mandelbaum, Appendix 2) “Wer das Gebot (die Vorschrift) betreffs der Laubhütte in dieser Welt hält, den beschützt Gott vor den Quälgeistern, dass sie ihm nicht schaden” כל מי שמקיים מצות סוכה בעולם הזה מסיך עליו מן המזיקין שלא יזיקו אותו … . Gewählt wurde diese Formulierung wohl v.a. deshalb, weil Gottlieb Fischer am Schabbat Chol Ha-mo’ed (Schabbat der Zwischenfeiertage) des Laubhüttenfestes verstarb.
Zeile 27: Genesis 15,17 השמש באה.
Joel 2,10 und 4,15 וכוכבים אספו נגהם.
Vgl. palästinischer Talmud, Traktat Berachot II,8,5c “Aber wenn ein Gelehrter stirbt, wer bringt uns seinen Ersatz?” אבל תלמיד חכם שמת מי מביא לנו חליפתו. Damit soll wohl auf die Unersetzlichkeit des Verstorbenen hingewiesen werden.
Zeile 28: Deuteronomium 33,21 כי שם חלקת מחקק ספון. S. bes. Raschi zur Stelle, der “Anteil” auf die Stelle des Grabes von Mose (Mose als Gesetztesgeber מחקק ) bezieht. ספון versteht Raschi als “verborgen, versteckt” und verweist darauf, dass niemand den Ort des Mose-Grabes kennt (Deuternomium 34,6).
Zefanja 1,14 צרח שם.
Zeile 29: Kohelet 1,5 שואף זורח.
Zeile 30: Vgl. Ijob 12,12 “Bei Greisen findet sich Weisheit …” בישישים חכמה… und besonders babylonischer Talmud, Traktat Moed Qatan 25b “… ein Geschlecht von Altehrwürdigen kam von Babel … גזע ישישים עלה מבבל … .
Psalm 39,4 בהגיגי תבער אש.
Zeile 31: Psalm 41,12 “… wenn mein Feind nicht über mich triumphieren darf” כי לא יריע איבי עלי.
Amos 1,14 “… im Getöse, am Tag des Sturms” …בסער ביום סופה.
Zeile 32: 2 Samuel 23,2 רוח יהוה דבר בי.
Richter 5,8 אז לחם שערים: Während Wörterbücher und christliche Übersetzungen das Wort לחם als unerklärt bezeichnen (Köhler-Baumgartner) oder mit dem Wort für “Brot” (“lechem”) gleichsetzen (Einheitsübersetzung: “Es gab kein Brot an den Toren”), sehen jüdische Kommentatoren (Raschi, R. David Kimichi u.a.) לחם nicht “Brot”, sondern “kämpfen”, ähnlich Buber-Rosenzweig “… dann streitet er in den Toren…”.
Zeile 21-32: Akrostichon: Die Anfangsbuchstaben der Zeilen ergeben den Vor- und Nachnamen des Verstorbenen (Gottlieb Fischer).
Biografische Notizen
Gottlieb (Jedidja) Fischer, Rabbiner in Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár); geb. in Felpécz, gestorben 12. Oktober 1895 mit 85 Jahren an Altersschwäche in Unterberg-Eisenstadt.
Vater: Gabriel Fischer
Ehefrau: Magdalena (Eleonore?, Rachel) Goldschmied
Töchter:
Katharina (Sara Gütel) Kutna, gest. 01. November 1903, 1. Ehefrau von Salomo Kutna, gest. 07. Februar 1909
Mari(e) Fischer, geb. ca. 1838 in Balota, geh. 02. November 1856 Moritz Blau, Buchhalter aus Sassin, in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg), eingetragen in der orthodoxen Gemeinde. Deren Sohn, Felix (Feiwel) Blau, wurde am 17. April 1861 in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) geboren und war der letzte Rabbiner von Schlaining bzw. Oberwart. Er starb am 4. Jänner 1932 in Oberwart.
Rosalie Fischer, geb. ca. 1841 in Palota (Ungarn), geh. 27. Juni 1859 Bernhard Papa, Sohn des Philipp Papa und der Hani (Papa) aus Tinnye (Ungarn), in Székesfehérvár (Stuhlweissenburg)
Söhne:
Ignaz (Isak) Fischer, geb. 04. November 1854 Székesfehérvár (Stuhlweissenburg), gest. 15. Februar 1923
Gabriel Fischer, gest. 09. Juli 1920
Moritz Fischer, geb. 09. Mai 1858 in Székesfehérvár (Stuhlweissenburg)
Material und Maße des Grabsteins
Marmor, 235/82/60
Der Grabstein wurde vor einigen Jahren von Verwandten neu angefertigt.
Personenregister jüngerer jüdischer Friedhof Eisenstadt